Stil – zwei Beispiele: Modigliani und Morandi

Bei den Texten zu Beckmann und Feininger fiel mir wieder einmal auf, dass manche Künstler lebenslang einen eigenen Stil beibehalten, den sie zwar weiterentwickeln, aber nicht zugunsten einer anderen Arbeitsweise aufgeben. Dagegen hatten Künstler, wie Picasso mit seinen roten und blauen Phasen, dem synthetischen und dem analytischen Kubismus, seinen freieren Gestaltungen bis hin zu seinem farbenfrohen Spätwerk, oder noch deutlicher Gerhard Richter, der sich ohne Übergang völlig neuen Ausdrucksformen zuwendete, mehrere Stilwechsel im Laufe ihres Schaffens.

Einteilungen, wie „Stil“, oder „Individualisten und Außenseiter“ (10.10.21) sind ja sehr subjektiv, vielleicht sogar willkürlich, aber Kunst ist subjektiv. Auch kunstgeschichtliche Epochen sind, was die konkreten Zeiträume angeht nur ungefähr genau. Ich halte mich in dem Fall an den französischen Philosophen Michel Foucault, der meinte, eine schlechte Ordnung sei besser, als gar keine Ordnung. Subjektiv ist auch diese Auswahl, denn es ließen sich zahlreiche Künstler finden, die ebnfalls ihrem eigenen Stil treu geblieben sind.

Amedeo Modigliani, Selbstportrait, 1919, MUSEU DE ARTE CONTEMPORÂNEA
da Universidade de São Paulo. Bild : Lucas Pretti, flickr. (CC BY-NC2.0)

Amedeo Modigliani (1884 – 1920) besuchte zunächst die Kunstakademien in Florenz und Venedig, zog 1906 nach Paris und lernte dort die modernen Künstler kennen, u.a. Picasso, Juan Gris und Kees van Dongen. Er ließ sich vom Kubismus inspirieren, lernte Brancusi kennen, der ihn zur Bildhauerei animierte. Dessen reduzierte Formen und afrikanische Plastiken, mit denen man sich in Paris beschäftigte, führten zu Modiglianis Formensprache mit den länglichen Gesichtern und den Mandelaugen. Das Selbstportrait oben galt lange als sein einziges und entstand kurz vor seinem Tod. Ein zweites wurde zunächst seiner Partnerin Jeanne Hébuterne zugeschrieben stammt aber auch von ihm.
https://de.wikipedia.org/wiki/Amedeo_Modigliani#/media/Datei:Modibyjeanne.jpg

Ausgesprochen viele Portraits fertigte Modigliani von seiner Partnerin, Jeanne Hébuterne an, die auch selber Künstlerin war. Sie studierte ebenfalls Kunst in Paris. Leider sind nicht allzu viele Bilder von ihr zugänglich.

Nach Paris zog es Modigliani trotz seiner schwierigen finanziellen Verhältnisse und seiner kränklichen Konstitution. Er hatte hintereinander mehrere einfache Ateliers, die er wegen Mietschulden immer wieder verlassen musste. Trotzdem nahm er am sozialen Leben der anderen Künstler teil. Er wurde von einem Freund als der letzte lebende Bohemien bezeichnet.

Modigliani fertigte ständig Skizzen an, die Bilder führte er allerdings in einem Zug ohne Korrekturen aus. Er hatte ein hohes Arbeitstempo, verlor aber eine unbekannte Anzahl seiner Bilder, weil er seine Ateliers wegen Mietrückständen überstürzt verlassen musste. Mangels Käufern verschenkte er seine Bilder an Freunde, einige verbrannte er.

Modiglianis Bilder sind fast ausschließlich Portraits, ohne einen erzählerischen Hintergrund. Man sieht eine Figur, entweder einen seiner Künstlerfreunde oder einer Frau vor einem undefinierten Hintergrund, der nur seine Eigenschaft als Innenraum kundgibt. Der längliche Kopf ist oft geneigt, die Augen meistens einfarbig leer. Melancholie ist ein Begriff, der mir sehr schnell dazu einfällt.

Amedeo Modigliani Liegender Akt, 1917, Metropolitain Museum of Art, New York. Bild: Lucas Pretti, flickr, (CC BY-NC 2.0)

Einzige Ausnahmen sind seine 30 Aktbilder. Eine Ausstellung erfolgte in einer Galerie gegenüber einer Polizeistation, vor der sich Zuschauer ansammelten. Da die Bilder drohten beschlagnahm zu werden, hängte Modigliani sie wieder ab. 2015 erzielte sein Bild »Liegender Akt« bei einer Versteigerung den Rekordpreis von über 170 Millionen Dollar.

Bild aus: Der Spiegel (Kultur, online) vom 10.11.2015, 10.17 Uhr

Heute ein weltberühmter Maler, dessen Werke Spitzenpreise erzielen und in Museen über die ganze Welt verteilt sind, lebte und starb Modigliani unter ärmlichen Verhältnissen. In jungen Jahren schon mit einer Rippenfellentzündung und Tuberkulosen geplagt, erlag er dieser Krankheit schließlich im Alter von 36 Jahren. Seine Lebensgefährtin Jeanne Hébuterne, die mit seinem zweiten Kind schwanger war, folgte ihm zwei Tage später freiwillig in den Tod. Ihre gemeinsame Tochter wurde von Modiglianis Schwester adoptiert.

Jeanne Hébuterne war allerdings nicht nur Modiglianis Partnerin, sondern auch selbst Künstlerin, wie man an ihrem Selbstportrait oben sieht. Sie studierte ebenfalls Kunst in Paris. Leider sind nicht allzuviele Bilder von ihr zugänglich.

Giorgio Morandi (1890 – 1964) ist für mich ebenfalls ein Maler, dessen Stil unlösbar mit seiner Person verbunden ist, so dass seine Werke ihm unmittelbar zugeschrieben werden können. Er konzentrierte sich auf ruhige, kontemplative Stillleben, was ihm den Beinamen „Flaschenmaler“ einbrachte. Allerdings malte er auch Landschaften in seiner Sommerresidenz, so dass die Reduzierung auf einen Stil, was bei ihm eben auch heißt, einem Sujet, nicht ganz stimmt. Allerdings kann man an den Landschaften deutlicher erkennen, dass er sich an Cezanne orientierte. Sein Interesse galt darüber hinaus auch Picasso.

Giorgio Morandi, Stillleben, 1942, Fondazione Magnani Rocca., Parma, Italien. Bild : jean louis mazieres, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0)

Die Form seiner bevorzugten Gegenstände für Stillleben, die in der Tat häufig Flaschen waren, zeigten diese Bezüge nicht so deutlich, wie einige Landschaften. Mit dieser Vorkenntnis lassen sich allerdings die Bezüge erkennen.

Giorgio Morandi, Innenhof der Via Fondazza, 1958, Museo d’Arte Moderna di Bologna (MAMbo). Bild: jean louis mazieres, flickr. (CC BY-SA-NC 2.0)

So ruhig und so beschaulich, wie seine Bilder erscheinen, verlief auch sein Leben. Er arbeitete als Lehrer, war unverheiratet und lebte bei seinen Schwestern. Die Wohnung war zugleich sein Atelier. Er war durchaus ein Kunstkenner, Picasso und Cézanne wurden schon erwähnt. Er kopierte Werke älterer Maler, wie Raffael, setzte sich mit der Malerschule seiner Heimatstadt auseinander, deren differenzierte Farbigkeit ihn zu inspirieren schien. Er befasste sich auch mit dem Futurismus. Mit den Futuristen gemeinsam stellte er 1938 auf der Biennale in Venedig aus, eine Ausstellung, die vom Faschismus vereinnahmt wurde und ihn in ein schlechtes Licht rückte.

Aber äußere Umstände interessierten Morandi nicht.
„Er hat immer ganz programmatisch gesagt, dass ihm Inhalte gleichgültig sind. Er möchte keine Metaphysik, er möchte keine sozialen, politischen, wie auch immer Inhalte transportieren, sondern das, was ihm wichtig sind, sind Formen, Farben, Licht, Raum, Zeit.“ (Ernst-Gerhard Güse anlässlich einer Ausstellung 1993 in Saarbrücken)

Goiorgio Morandi, Stillleben, 1919, Pinacoteca Brera, Mailand. Bild: jean louis mazieres, flickr. (CC BY-SA-NC 2.0)

1918 und 1919 arbeitete er jedoch, wie in diesem Bild, im Stil der »Metaphysischen Malerei«, die von Giorgio de Chirico und seinem Bruder ins Leben gerufen wurde. Hinter der sinnlich erfassbaren Realität postulierte man eine übersinnliche Welt, die ihren Ausdruck in rätselhaften Erscheinungen fand, die allerdings mit größter Deutlichkeit und perspektivisch genau gestaltet wurden, ebenso wie die Umgebung, oft mit leeren Plätzen. Bei dem obigen Bild kann man die Nähe zu de Chirico nachvollziehen. Allerdings hatte sich Morandi auch da schon auf ruhigere Innendarstellungen verlegt, denen er sich dann später ohne Metaphysik intensiv widmete, sowie auf dezentere Farben.

Im Wesentlichen fasst das Morandis Leben und seine Arbeit zusammen. Der Lehrberuf hat ihn naturgemäß Zeit gekostet, die er lieber mit Malen verbracht hätte. Später wurde er Schulrat und 1930 Professor für Radierung an seiner alten Akademie.

Giorgio Morandi, Stillleben mit fünf Objekten, Radierung, 1956, Galleria d’Arte Maggiore GAM, Bologna. Bild: bianca.maggio, flickr. (CC PD1.0)

Was Morandi an seinen Bildgegenständen interessierte, war die Ausdrucksmöglichkeit dieser schlichten Formen. Die Gegenstände waren für den menschlichen Gebrauch vorgesehen, einerseits auf die menschliche Hand als Subjekt von Handlungen ausgerichtet, andererseits auf die menschlichen Bedürfnisse, die durch die Gegenstände erfüllt werden, vornehmlich also Trinken, oder auch als Behältnisse für Blumenschmuck oder Kerzenständer.

Giorgio Morandi, Stillleben, 1923, Privatsammlung, gezeigt auf der Ausstellung Edmund de Waal / Giorgio Morandi at Artipelag, Stockholm, summer 2017. Bild: Bosc d’Anjou, flickr. (CC BXY-NC-SA 2.0)

Seine ruhigen, zurückhaltenden Bilder sprachen andere Künstler an, so z.B. den Jazzmusiker Volker Kriegel mit seinem Stück »Notiz für Giorgio Morandi«, von dem ich wenigstens einen Ausschnitt ausfindig machen konnte.
https://music.apple.com/us/song/notiz-f%C3%BCr-giorgio-morandi/267071192

Philippe Jaccottet, ein Schweizer Dichter, aber auch Literaturkritiker und Essayist beschrieb in seinem Essay »Der Pilger und seine Schale« die Farbigkeit von Morandis Bildern auf eine poetische und, wie ich meine, treffende Art mit den Worten »Elfenbein und Sand und Asche. Kurz vor Anbruch des Tages.«

Für mich persönlich sind die Bilder Morandis eine Schule des Sehens. Ein Künstler, der sich Zeit seines Lebens auf immer vergleichbare einfache Formen konzentriert hat und dabei die Vielfalt der Erscheinungen aufgedeckt und uns gezeigt hat, fordert den Betrachter auf, diesen Arbeiten mit derselben Ruhe und unaufgeregt und zu begegnen. Beschaulichkeit erschließt sich eben nur durch Schauen. Die Vielfalt der Nuancen bleibt dem hastenden Auge verborgen.

Giorgio Morandi, Stillleben, 1956, Museo d’Arte Moderna di Bologna, Italien. Bild: jean louis mazieres, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0)


2 Antworten auf “Stil – zwei Beispiele: Modigliani und Morandi”

  1. Oh ich liebe Beide, soll heißen ich bin in ihre Werke eingetaucht und habe sie skizziert, ihre Bilder studiert und interpretiert. So ist der eine mit den Proportionen nur scheinbar über das Ziel hinausgeschossen, hat aber die stolzen Regeln durchaus abgebildet. Der Hals war mir in einer besonderen Modiglianis Portraits immer präsent. Ich habe viel über die Menschliche Abbildung gelernt. Morandi schätze ich wegen der Berührung / Überschneidung der Gegenstände und den Raum und die Dichte die er so spürbar schlicht – wirklich einfach wahr und schlicht abbildet – ich feiere seine Bilder der Gefäße sehr dazu die überall spürbare RaumLinie im Hintergrund. Ich genieße das Spiel der Farben. Wie schön, dass mir diese Beiden in diesem Beitrag begegnen. Tut gut! LG Doro

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