Weihnachten – von Samuel Palmer

Samuel Palmer, Christmas 1850, Metropolitan Museum of Art, New York. (OA)

Der Maler und Graphiker Samuel Palmer, der von 1805 bis 1881 in England lebte, schuf diese Radierung 1850. Das Bild wirkt auf den ersten Blick überhaupt nicht weihnachtlich. Sehr dunkel, außer dem Vollmond mit nur einer Lichtquelle und nur schemenhaft sichtbaren Figuren. Der Titel „Weihnachten“ enthält jedoch einen eindeutigen Arbeitsauftrag an den Betrachter, sich etwas anzustrengen.

Samuel Palmer, Selbstportrait, ca. 1825, Ashmolean Museum, Oxford, U.K. (low level downloads für nicht kommerzielle Zwecke erlaubt.)

Das muss man auch bei dem fast unbekannten Künstler, der unter sehr schwierigen Verhältnissen in Shoreham, Kent und London lebte. Sein Haus in Shoreham trug den Namen „Rat Abbey“, eine selbsterklärende Bezeichnung. Seine eher düsteren Arbeiten fanden wenig Anklang, er machte jedoch Bekanntschaft mit William Blake, begann seine ersten Arbeiten unter dem Einfluss Turners und wurde 1854 Mitglied der Water Color Society, die einmal im Jahr eine Ausstellung machte, auf die er hinarbeitete. Zu seinem Spätwerk gehören Illustrationen (Aquarelle und Stiche) zu den Werken von Milton und Vergil. Viele seiner Werke sind verschwunden. Zuerst verpfändete sein Bruder seine frühen Gemälde und Palmer musste sie mit einer großen Summe auslösen. Seine Einkünfte bestritt er als Zeichenlehrer, als der er einen ausgezeichneten Ruf hatte. Doch tat ihm die Zeit weh, die er dadurch für seine eigenen Arbeiten verlor. Sein Sohn zerstörte 1909 zahlreiche seiner Werke, um ihnen ein „erniedrigenderes Schicksal“ zu ersparen.

Samuel Palmer, Moeris und Galatea, au Virgils Eclogen, 1883–84, The Clark Art Institute, Massachusetts, USA. Legaler Download.

Natürlich hat sein Leben nur einen sekundären Effekt für die Art seiner Arbeiten, aber dass nicht alle hell und freundlich wirken, lässt sich schon nachvollziehen.

Zum Bild selber – man sieht links ein Gebäude mit Strohdach und geöffneter Tür, durch die Licht nach außen dringt. Auch ein beleuchtetes Fester hinter einem Baum ist angedeutet. Die deutlich zu erkennende dunkle Figur mit Hut ist offensichtlich der Schäfer, den man im Begriff sieht, die Schafherde in ein Gatter zu bringen, zu dem auch ein kleiner Unterstand gehört. Die Tür in der Hand wird er es wohl gleich schließen, nachdem das letzte Tier, ein kleines Lamm, auch den anderen gefolgt ist. Drei Kinder bilden eine optische Reihe von der Tür bis zum Schäfer, das linke öffnet die Tür und die festgehaltene Geste lässt den Schwung erkennen, mit dem dies geschieht. Eine offensichtlich freudige Erwartung. Ein zweites Kind beugt sich zu einem Hund hinunter, der es leicht anspringt, auch das eine Stellung, die Bewegung und Freude vermittelt. Ein drittes, kleineres, Kind schließlich hat die Hand des Vaters ergriffen; auch hier sieht man in der Körperhaltung die Bewegung, mit der es den Schäfer Richtung Haus zieht. In der erleuchteten Tür sieht man eine Frau den Tisch decken, einen Teller noch in der Hand. Auch dies ist ein Bild mit gezeigter Bewegung. Das sind lauter kleine Lösungen, um in einem statischen Bild Bewegungen anzudeuten. Das kann man nur kunstvoll nennen, denn diese Elemente geben dem düsteren Charakter der Dunkelheit eine Leichtigkeit, die die Stimmung aufheitert.

Wenn man bei dem Begriff bleibt, kommt man bei dem Bild zusätzlich auf die Ableitung »bewegend«. Das ist es, was das Bild nach längerer Betrachtung widerspiegelt; der geliebte Vater, die Figuren der Kinder drücken das aus. Die Versorgung der Herde und die einladende Geste des linken Jungen vor der offenen Tür, der der Vater ohne Zweifel gleich folgen wird, runden das Bild ab. Nun scheint der Titel dem Druck »Weihnacht« schon eher angemessen.

Inhaltlich sind natürlich die Figur des Schäfers und die Schafe von Bedeutung. Es gibt einen Untertitel, der das nahelegt, »Folding the last sheep«, wobei das Schaf nicht gefaltet wird, wie der Google-Übersetzer nahelegt, sondern sich auf das Substantiv»Sheepfold«, Schafspferch, bezieht, was  beinhaltet, dass das letzte Schaf in das Gatter kommt.

Samuel Palmer, Opening the Fold, ot Early Morning, 1880, Metropolitan Museum of Art, New York. (OA)

Im biblischen und auch im weihnachtlichen Sinn ist das Schaf ein Symbol: Schafe stehen für Gutmütigkeit und Geduld. In der Bibel ist vom »Lamm Gottes« die Rede, eine Bezeichnung, die auf Jesus angewendet wird, allerdings mehr vor dem Hintergrund des Opfertodes, dem Schafe im kleinasiatischen Raum ausgesetzt waren, ebenso wie später Jesus. Das Ende seiner Lebensgeschichte am Karfreitag ist aber hier nicht das Thema, ebenso wenig die zu Ostern gefeierte Wiederauferstehung. Nur das Lamm als Symbol für Jesus könnte hier eine Rolle spielen.

Ein kleiner Umweg über Vergil, dessen Ekloge, mit dem Zweitnamen »Bucolica«, Palmer illustrierte, führt ebenfalls erst zu Schafen und dann zu Schäfern. Bukolische Schriften und Texte enthalten seit der Antike Hirtenszenen als idyllische Landschaftsdarstellungen, die ländliche Einfachheit und Ruhe ausstrahlen. »Locus Amoenus« oder »Arkadien« wurden diese Landschaften genannt, die christlich um die Vorstellung eines Garten Eden erweitert wurden. Der ab dem Barock hinzugetretene Aspekt von »Schäferspielen«  kann hier ausgeschlossen werden. Die vierte Ekloge Vergils enthält die Ankündigung eines göttlichen Kindes, die später christlich umgedeutet wurde und die Weihnachtsgeschichte vorwegnahm. Selbstredend befinden sich Schafe und Schäfer auf all diesen Illustrationen Palmers.

Der Schäfer ist allerdings auch unter der Bezeichnung »Hirte« ein fester Bestandteil der Weihnachtsgeschichte, auch wenn er mit den anderen Hirten nur das Bild und die Geschichte abrundet. Wer sollte sonst in der Nacht draußen sein, Sterne sehen und von dem Engel gefunden werden, der die Geburt Christi verkündet? Hirten symbolisieren an der Krippe normale Menschen, die dem heiligen Geschehen Tribut zollen. Natürlich sind sie ohne Schafe nicht denkbar. Der (gute) Hirte ist aber auch ein Symbol für Jesus, der die fügsamen Schafe hütet und versorgt. Das lateinische Wort für Schäfer ist Pastor.

Die Figuren des Schafes und besonders des Hirten sind zwar keine Hauptfiguren, illustrieren aber in ihrer Symbolhaftigkeit elementare Bestandteile des christlichen Glaubens und besonders der Weihnachtsgeschichte: Schafe als Symbole für Friedfertigkeit und Demut, die Hirten für Schutz und Fürsorge, biblisch für den guten Hirten, wie zum Beispiel im Evangelium nach Johannes, Kap. 10.

Einen solchen Hirten, der sich um sein letztes Schaf kümmert, um sich dann in weihnachtlichem Frieden zu seiner Familie zu gesellen, sehen wir auf diesem Weihnachtsbild Samuel Palmers aus dem 19. Jh.

Erschienen ist diese Bildbeschreibung, allerdings nur mit dem titelgebenden Bild, in einer Sammlung über Beiträge zu kulturellen Aspekten von Weihnachten:

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