Spoerri

In loser Reihenfolge wurden hier bereits einige Künstler des «Nouveau Réalisme» vorgestellt. Zu ihnen gehörten anfangs die Künstler Arman, François Dufrêne, Raymon Hains, Martial Raysse, Daniel Spoerri und Jean Tinguely und Jacques de la Villeglé. Die Gruppe bildete sich in der Wohnung von Yves Klein. Der Kunstkritiker Pierre Restany, der ebenfalls zu der Gruppe gehörte, verfasste zur Gründung ein/das Manifest dazu. „Donnerstag, den 27. Oktober 1960. Die Neuen Realisten sind sich ihrer kollektiven Einzigartigkeit bewusst geworden. Neuer Realismus = neuer Ansatz der Wahrnehmung des Realen“. Die Künstler schrieben den Text auf je unterschiedliche Blätter und unterzeichneten alle jedes Blatt.

Das Manifest unterzeichnet von den Nouveaux Réalistes am 27. Oktober 1960. Bild: © Yves Klein, ADAGP, Paris. (Royalty-free images to be used exclusively for press on Yves Klein’s work)

Später stießen noch César (Baldaccini), Mimmo Rotella und Niki de Saint Phalle dazu. Christo beteiligte sich an den Ausstellungen.

Daniel Spoerri (*1930) ist meiner Meinung nach der vielseitigste und auch der dominanteste Künstler der «Nouveaux Réalistes». Seine Laufbahn begann mit einer Tanzausbildung, zunächst in der Schweiz und dann in Paris. Dort traf er auf Künstler wie Arman, Yves Klein und Jean Tinguely. Beim Ballett stieß er an seine Grenzen und begann zusammen mit den Anderen erste Kunstwerke zu schaffen. Sehr früh fand er zur Objektkunst, weil er laut eigener Aussage nicht malen konnte. Zunächst mit seinen «Tableaus Pièges», übersetzt mit »Fallenbilder«, die aus Tischen bestanden, an denen mehrere Menschen gegessen und getrunken hatten. Nach vollendeter Mahlzeit fixierte er die Gegenstände auf dem Tisch und hängte sie auf. Fallenbilder nannte er sie, weil sie ein Stück Realität eigefangen hatten, einen Quadratmeter Welt, wie er sagte. Man könne mit ihnen eigentlich den ganzen Nouveau Réalisme erklären. Die anderen Künstler schufen gänzlich unterschiedliche Werke, sein Freund Yves Klein erklärte die Farbe Blau zur Realität. Im Prinzip seien es Konzepte gewesen, eine Vorwegnahme der Konzeptkunst. (Die hier verwendeten Informationen stammen aus einem Gespräch mit Franziska Leuthäuser am 4.12.2015 innerhalb des Projektes »Café Deutschland«.)

Daniel Spoerri, Hahns Abendmahl (entstand auf  Wunsch des Sammlers Wolfgang Hahn), 1964, museum moderner kunst stiftung ludwig, Wien. Bild: Pavel Flegontov, flickr. (CC BY-NC 2.0

Bei einem verkauften Werk hatten Ratten das Brot angefressen. Spoerri hatte keine verderblichen Lebensmittel verwendet, Brot und Nudeln aber trockneten aus und brauchen keine Konservierung. Statt das Werk wie gewünscht zu restaurieren änderte er die Signatur durch den Zusatz “In Kooperation mit den Ratten der Galerie Schwarz“. Ein Fallenbild könne man nicht restaurieren. Die Ratten hatten das Stück Realität ergänzt. (Ebd.)

Schon als junger Mensch unterstützte er Tinguely und Niki de Saint Phalle mithilfe seines geringen Ballettstipendiums, als sie mittellos nach Paris kamen.

In Paris ergaben sich weitere Bekanntschaften und Freundschaften, die in viele fruchtbare gemeinsame Projekte mündeten, hauptsächlich bei den «Nouveaux Réalistes».

Die Kunst hat sich weiterentwickelt, Spoerri spricht mittlerweile von einem »Alten Realismus«. Auch er ging später neue Wege, blieb aber trotzdem in gewisser Weise seinen Wurzeln in der Objektkunst treu. Als nächstes machte er einen Ausflug in die Fluxus-Bewegung. Fluxus war ähnlich wie Dada ein Angriff auf die arrivierten Kunstwerke mit elitärem Charakter. Er war kaum objektorientiert, sondern eine Form der Aktionskunst, grenzte sich aber vom Happening ab. Spoerri unternahm diesen Ausflug, um wie die anderen Künstler „dabei zu sein“ und die Welt möglichst aus den Angeln zu heben. Es war ein Sammelbecken für Künstler, die nach neuen Ausdrucksformen suchten, Bazon Brock, Ben Vautier, Joko Ono, Wolf Vostell. Dieter Roth, Beuys, um nur einige zu nennen. Von hier aus entwickelten sich spätere Arbeiten, auch gemeinsam mit anderen Künstlern.

Die Fallenbilder stellen neben den Skulpturen den weitaus größten Anteil an Spoerris Werken dar, so dass hierzu auch die meisten Abbildungen verfügbar sind. Die konzeptorientierten Arbeiten wurden zwar dokumentiert, aber die Umsetzung kann nicht gut in anschaulichen Beispielen präsentiert werden.

Joseph Beuys, Buchumschlag (Das Zertifikat ist auf einem Buchumschlag abgebildet, die recht unansehnlichen Objekte unterliegen dem Urheberrecht).

Hierzu gehörte nach einem griechischen Intermezzo auch die Zusammenarbeit mit Beuys in der »Eat Art«. Spoerri betrieb ein Restaurant und eine Galerie in Düsseldorf. Es war eine Weiterentwicklung der Idee der Fallenbilder, nun auf Lebensmittel bezogen. Die Kochkunst wurde der Bildenden Kunst gleichgestellt. Das Betreiben der Galerie war recht kostspielig und so unterstütze ihn Beuys, indem er Fischgräten als Serie herstellte. Die Vorgeschichte war, dass er bei Hering die Gräten wegen des Kalziumsgehaltes immer mitaß, wie er Spoerri bei einem gemeinsamen Essen mitteilte. Er fertigte 40 Stück an, von denen 32 verkauft wurden, zusammen mit einem Zertifikat „1a prima Fischgräte“, womit die nächste Miete für die Galerie gesichert war. Auch in seinem späteren Skulpturenpark gibt es Objekte, der der Eat Art, nur haltbarer, z.B. den »Fleischwolfbrunnen«.

Daniel Spoerri, Fleischwolfbrunnen, 1962/1991, Il Giardino di Daniel Spoerri, Seggiano, Italien. Bild: Alessandro Scarcella., flickr. (CC BY-ND 2.0)

Während seiner Professur an der Kölner Werkschule führte Spoerri diese Ideen weiter, indem er z.B. zu einem Menü einlud für einige Menschen, die zufällig einen berühmten Namen hatten. Der Dekan des Fachbereichs Karl Marx, der natürlich auch anwesend war, mag ihn dazu inspiriert haben. Während seiner Kölner Zeit realisierte Spoerri noch weitere Projekte, wie neue Kunst-Kochbücher, eine Ausstellung Musée Sentimental de Cologne im Kunstverein. Mit seinen Studenten schuf er eine Sammlung alltäglicher stadtbezogener Gegenstände die die Idee einer »Geschichte von unten«, also aus er Sicht normaler Menschen statt historischer Ereignisse., bildnerisch untermallten. Gezeigt wurden z.B. Bleistiftstummel von Heinrich Böll oder Adenauers Rosenschere. Die Idee der Fallenbilder wurden so auf eine ganze Stadt erweitert. Erstmals realisierte Spoerri diese Idee in Paris, die Kölner Ausstellung war dann wesentlich ausführlicher. Ich sehe auch hier einen Realismus, der in seiner Art wieder neu ist. Einen Bildband mit dem Titel „Heilrituale an Bretonischen Quellen“ mit einer Auflage von 3000 Stück verschickte er an Personen, die ihm zuvor irgendein Buch zukommen ließen. Aus den Büchern wollte er eine Zufallsbibliothek zusammenstellen.

Anfang der 90er Jahre begann Spoerri in einem ehemaligen Olivenhain in derToskana einen Skulpturenpark anzulegen. Neben seinen eigenen Werken werden Arbeiten aller seiner Freunde ausgestellt. Das Projekt wurde in eine Stiftung überführt, die den »Giardino« immer noch betreibt, selbstverständlich mit einem Restaurant mit dem Namen »Non solo EAT ART s …« Eat Art gibt es auch zu sehen, z.B. seinen Fleischwolfbrunnen. Ich interpretieren diese Anlage als einen kunstgeschichtlichen Überblick über den «Nouveau Réalisme» anhand von Skulpturen. Besonders eindrucksvoll fand ich das in Bronze gegossene Zimmer Spoerris, das er zuerst in Paris bewohnte.

Daniel Spoerri, Chambre No. 13 de l’Hôtel Carcassonne Paris,1959-65, Il Giardino di Daniel Spoerri, Seggiano, Italien.

Einen Überblick gibt die Seite des Giardino mit der Vorstellung aller Künstler. Von Spoerri sind ebenfalls alle Skulpturen zu sehen.
https://www.danielspoerri.org/giardino/de/artists-de/

Daniel Spoerri, Die Grazierinnen, 1992. Il Giardino di Daniel Spoerri, Seggiano, Italien. Bild: Marcelle, flickr. (CC by 2.0)

Heute betreibt Spoerri unter tatkräftiger Unterstützung seiner Mitarbeiter*innen ein Ausstellungshaus in Hadersdorf bei Wien, wo ebenfalls zahlreiche Werke des »Neuen Realismus« bereits präsentiert wurden und weiterhin werden.
https://www.spoerri.at/

Seinem Faible für Fragen der Nahrungsaufnahme bleibt Spoerri auch hier treu, indem er sein Ausstellungshaus um ein „Esslokal“ mit qualifiziertem Personal ergänzte, mit dem er, bzw. die Betreiber des Restaurants, auf Anhieb beliebte Auszeichnungen erhielt*en. Im Garten wird auch plastisch mit einer seiner Tassenskulpturen an diese Tradition erinnert.

Daniel Spoerri, Tasse, 2000, Hadersdorf bei Wien. Bild: Brigitte Rieser, flickr. (CC BY-NC-ND 2.0)

3 Antworten auf “Spoerri”

  1. Ich habe gerade ein bisschen recherchiert. Spoerri war genau zu der Zeit in Zürich , als mein Vater dort Malerei studiert hat. Aus meinem Vater wurde später ein Kunstlehrer, der nebenbei gemalt und Kunst gemacht hat – allerdings wenig erfolgreich.

    Danke für die Künstlerportraits. Ich finde sie allesamt sehr lesenswert!

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      1. Uups, irgendwie zu kleine Tasten!
        …Den Rest habe ich dann in den Hobbybereich verlegt. Dann habe ich festgestellt, dass Schreiben über Kunst eine gangbare Alternative ist.

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