Bei dem Thema „Angst“ in der Kunst fällt wohl jedem die eindringliche Arbeit von Edvard Munch (1863-1944) mit dem Titel „Der Schrei“ ein. Es gibt mehrere Versionen von dem Bild in Öl und als Lithographie. In der einen oder anderen Kunststunde wird ein bildungsorientierter Lehrer wohl auch den Unterschied zwischen Angst und Furcht thematisiert haben. Furcht entwickelt man vor konkreten Bedrohungen aus der Außenwelt, während Angst einen inneren Ursprung hat. Ich finde der Unterschied kann innerhalb der Kunst vernachlässigt werden, vor dem Hintergrund, dass es ausgesprochen schwierig ist, Gefühle in einem Bild auszudrücken, während z.B. geschriebene Werke dies eher vermitteln können. Maler malen ja nie das Gesehene 1:1 ab, sondern geben ihren inneren Anteil mit hinein, erst recht in der ungegenständlichen Kunst. Man kann Gefühle nicht sehen, nur die Anlässe und der die Reaktion der empfindenden Menschen. Insofern ist „Der Schrei“ eine geeignete Umsetzung dieser selbstgestellten Aufgabe Munchs, egal, ob es um Furcht oder Angst geht.

Munch wurde bei der Präsentation der ersten Version für verrückt gehalten. Sensibel und von Selbstzweifeln gequält hat er während der Ausstellung der ersten Fassung eine kaum erkennbare handschriftliche Notiz oben links auf dem Bild hinterlassen, die eindeutig von ihm stammt. Übersetzt steht da: „Kann nur von einem Verrückten gemalt worden sein!“ Munch zweifelte tatsächlich an seiner geistigen Gesundheit. Er verarbeitete in dem Bild eine Panikattacke, mit seinen eigenen Worten „Ich stand allein, bebend vor Angst. Mir war, als ginge ein mächtiger Schrei durch die Natur.“ (zitiert nach Stefan Trinks, FAZ, 24.02.2021) Munch fühlte einen bedrohlichen Ausnahmezustand und setzte ihn in einem Bild um, das ihn zum Vorbild der späteren Expressionisten machte. Der Expressionismus scheint mir ohnehin die Kunstrichtung zu sein, die die innere Gefühlswelt am direktesten in Bildern erfasst.

Deutlicher wird Munch in einem anderen Bild, bei dem „Angst“ bereits durch den Titel festgelegt ist. Auch hiervon existieren verschieden Versionen in Öl und als Lithographie. Ich habe mich hier für letztere entschieden, weil die farbliche Reduktion auf schwarz-weiß unten und Rot, für mich mit bedrohlichem Charakter, im oberen Teil, mit den wenigsten Mitteln arbeitet und den deutlichsten Ausdruck vermittelt. Auch hier sprechen die Gesichter, mit weit aufgerissenen Augen und schmalen Lippen, die über der schwarzen Kleidung zu schweben scheinen, von dem inneren Gefühl. Durch die Eindringlichkeit der Blicke wird aber auch der Betrachter beteiligt. Wieder sieht man nicht, wovor die Menschen Angst haben.

In einer Ausstellung von September 2012 bis Januar 2013 zeigte das Städelmuseum in Frankfurt Bilder zum Thema schwarze Romantik. Dort wird das Begriffsspektrum der Angst um das Grauen und den (panischen) Schreck erweitert. Ich finde, die Begriffe können ohne weiteres unter Angst subsummiert werden. Das Bild von Munch war ebenfalls Teil dieser Ausstellung.

Die beiden hinzugekommenen Begriffe haben ihre Ursache in zwei Plastiken von Ernst Barlach (1870-1938). Wenn man sich bei einigen seiner anderen Werke noch fragen konnte, wie dieser Künstler zu der Einordnung in den Expressionismus kam, sieht man hier überzeugende Antworten, passend zu meiner Einschätzung dieser Kunstrichtung zu dem Thema. Wie man die Angst in der Kunst zum Ausdruck bringt findet hier eine mögliche Antwort. Man zeigt die Menschen, die dieses Gefühl haben und denen die Angst, das Grauen, der Schreck oder die Panik ins Gesicht geschrieben ist oder mittels der Körperhaltung ausgedrückt wird.
Eine andere Möglichkeit wäre, die angstauslösenden Elemente darzustellen. Der Englisch-schweizerische Maler Johann Heinrich Füssli (1741-1825) lieferte ein weithin bekanntes Beispiel in dem Nachtalb (ursprünglich „Mahr“), der für die gleichnamigen Träume sorgt. Es gibt zwei Versionen zu dem Thema, wobei ich diese aufgrund der zurückgenommenen Farbigkeit als deutlicher empfinde.

Zu der Thematisierung durch die Angstauslöser kam als weitere Variante des Ausdrucks eine Farbigkeit, die wir aus Tradition mit Trauer in Verbindung bringen. Ein anderes lohnenswertes Thema, aber hier liegt der Schwerpunkt auf dem, was Trauer auslöst und vor dem man Angst hat. Der Umgang mit dem Tod ist ja beinahe tabuisiert, weil man an dieses unausweichliche Ereignis möglichst lange nicht denken will, es ist eben angstbesetzt. Die blasse Farbgebung und die sehr blasse Frau, zumal sie hingestreckt da liegt, lassen die Assoziation aufkommen, dass kein Leben mehr in ihr ist. Der Alb sitzt direkt neben ihr auf dem Bett mit einem diabolischen Lächeln. Möglich ist auch dass er auf ihr sitzt, wie noch deutlicher auf dem anderen Nachtalb-Bild von 1789, auf dem er grimmig schaut. Das Bild ist farbiger als dieses. Es ist dunkler gehalten und nur der helle Frauenkörper sticht heraus. Dunkelheit umgibt auch hier die Frau, doch erscheint sie transparenter, aber fast ohne Farbe. Ins Auge springt das weißliche Pferd mit den toten Augen, das durch einen Vorhang hereinschaut. Die Zusammenstellung all dessen ist keineswegs angenehm und auch wenn das Thema der Alb ist, wird doch so etwas wie Furcht oder Angst beim Betrachter spürbar.

Eine überhaupt nicht düstere, aber nicht minder beängstigende Darstellung finden wir bei dem Surrealisten Salvador Dalí (1904-1989). Die Surrealisten hatten ja den Traum mit der äußeren Realität gleichgestellt, die assoziativen, oft unzusammenhängenden Traumelemente finden sich wieder in den scheinbar unzusammenhängenden Bildelementen. Der Titel des Bildes verweist ja schon auf einen Traum und der kenntnisreiche Maler kannte auch das Bild von Füssli. Der hingestreckte Körper der schlafenden Frau, die ebenfalls von Tieren, die in diesem Fall auch noch angreifen, bedroht wird, verweist direkt auf Füssli. Die assoziative Kette von Traumsegmenten wird gespiegelt durch eine Reihenfolge, die schließlich bei den Tigern endet. Aus einem riesigen Granatapfel springt ein Tiefseefisch aus dessen Maul ein Tiger springt und aus dessen Maul ein weiterer. Ein Bajonett, das gerade die Frau erreicht steht wohl für den Stich der Biene, die rechts unten im Bild tatsächlich um einen Granatapfel fliegt. Dass sich das Geschehen unmittelbar vor dem Aufwachen ereignet, bringt wieder einen Albtraum ins Spiel, der regelmäßig mit einem erschreckten Aufwachen endet. Sind wir noch beim Thema Angst? Ich denke schon.
Dazu gehören auch Gruseln, Horror, Schrecken und Grauen. Über die Unterschiede streiten sich die Psychologen, doch in der Alltagssprache werden diese Begriffe ganz intuitiv verwendet und ich mache hier auch keinen Unterschied, mir geht es um Kunst und nicht um Psychologie.
Die russische Künstlerin Marija Jakuntschikowa (1870-1902) hat ein sehr ausdrucksstarkes Bild mit dem Titel „Furcht“ geschaffen. Auch sie bedient sich einer expressionistischen Ausdrucksweise um das Gefühl zu vermitteln. Vor der dunklen Kulisse eines nächtlichen Waldes hebt sich im unteren Teil des Bildes eine rot gekleidete junge Frau mit grünlichem Gesicht ab. Neben dieser allgemeinen Stimmung ist es besonders das Gesicht mit den aufgerissenen Augen, dass den Bildinhalt vermittelt. Die linke Hand am Gesicht entspricht der Geste von Barlachs Grauen. Nach hinten wehende Haare und das Kleid, vielleicht auch eine Decke, suggerieren eine Neigung des Körpers nach vorne auf den Betrachter zu. Zusammen mit der Position am unteren Bildrand wird so der Eindruck einer Flucht erzeugt. Das Besondere an dieser Darstellung ist, dass wir hier eine Figur in Bewegung sehen, während die bisher gezeigten Beispiele entweder schlafende oder vor Scheck erstarrte Menschen zeigen. Die anderen Arbeiten der Künstlerin zeigen keine so dramatischen Situation, sie sind eher beschaulich, so dass Jakuntschikowa nicht zum Expressionismus gezählt werden kann. Das Bestreben der Expressionisten, innere Gefühle nach außen zu tragen, findet sich aber auch in diesem, dann doch expressionistischen Bild.

Ein weiteres Bild, das von der Darstellungsform der oben gezeigten Bilder etwas abweicht, stammt von Francisco de Goya (1746-1828). Es ist eine Radierung mit dem Titel „Der Schlaf der Geburt gebiert Ungeheuer“ aus dem späten 18. Jhd. Der gezeigte Mensch, wahrscheinlich der Künstler selbst, ist wieder unbeweglich, er sitzt schlafend mit auf auf den Händen aufgelegtem Kopf an einem tischähnlichen Gebilde auf dem der Titel des Drucks zu lesen ist. Mehrere Tiere mit aufgerissenen Augen direkt hinter dem Mann und in der Luft dominieren den Hintergrund und den rechten Bildraum. Die geflügelten schwarzen Tiere, Eulen und Fledermäuse zeigen und symbolisieren zu gleich die angstauslösenden Elemente. Diese Wesen bilden eine dreieckige Formation, die den schlafenden Mann umgeben, so dass er ohne Zweifel als Ziel erscheint. Angst wird hier indirekt thematisiert, Angst vor den Ungeheuern während des Schlafes der Waffe gegen sie.

Vernunft gebiert Ungeheuer), Capricho Nr. 43, Radierung, Madrid. Bild Via Wikipedia
Bis hierhin scheint alles schlüssig zu sein. Allerdings hat Goya einen Begriff gewählt, der sowohl Schlaf, als auch Traum bedeuten kann. Der Streit der Gelehrten über die Deutung besteht bis heute. Ich möchte mich da nicht einmischen, allerdings den Kommentar Goyas zu dem Bild wiedergeben.
„Die Phantasie, verlassen von der Vernunft, erzeugt unmögliche Ungeheuer; vereint mit ihr ist sie die Mutter der Künste und Ursprung der Wunder.“ (Goyas Kommentar zum Blatt 43)
Für mich bedeutet das, dass die Ungeheuer sowohl aus dem Schlaf entstehen, als auch durch den Traum, der mit Phantasie gleichgesetzt wird, wenn die Vernunft den Traum nicht begleitet. Unter Beteiligung der Vernunft aber kann die Kunst entstehen, sowie „Wunder“, was ich als Fortschritt interpretiere.
Und was ist mit der Angst? Die Angst wird wie bei Füssli auf dem Bild in Form der auslösenden Ungeheuer gezeigt, aber dieses Bild nennt zugleich ein Mittel dagegen, die Vernunft.
Ich möchte zum Schluss noch etwas Nicht-Künstlerisches aus unserem Alltag hinzufügen. Angst ist nicht (nur) negativ, sondern mahnt zur Vorsicht, was allgemein bekannt ist. Sie ist aber auch die Voraussetzung für eine erwünschte Eigenschaft: den Mut. Ich denke, das ist vielleicht ein positiver Gedanke für den Moment, wenn die Angst von einem Besitz ergreift. Und vielleicht macht er auch etwas Mut.
