Kleines Vorwort
Diese beiden Künstler sind, um es vorsichtig auszudrücken, Geschmackssache. Für sich hätte ich sie vielleicht nicht hier vorgestellt, aber in der Gruppe der »Neuen Realisten« runden sie das Bild ab. Dass Kunst sich auf Realität bezieht, habe ich schon öfter geschrieben. Meist setzt sich die Kunst über die Realität hinweg, zeigt sie, reflektiert sie mit ihren Mitteln, kritisiert sie fast immer, ebenso wie sie ihre Vorgänger kritisiert, die zu ihren Zeiten Gleiches taten. Und dann wird sie experimentell, versucht diese oder jene Vorschläge zu machen, deren Erfolg und Vernunft zweifelhaft oder erfolgreich ist. Denn das tut sie, sie zweifelt, auch an sich selber, in einer Sprache ohne Worte. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Neues zunächst schockiert. Fortschritt entsteht aus Unzufriedenheit mit dem Bestehenden. Deshalb lade ich ein, sich auch machmal mit Werken auseinanderzusetzen, bei denen man zuerst den Kopf schüttelt. Deswegen bin ich jetzt auch ganz sicher, diese Künstler zeigen zu wollen.
César (Baldaccini) (1921 – 1998) ist für zwei Dinge bekannt. Eines sind die zusammengequetschten Metalle, wie sie aus einer Schrottpresse kommen. Er hatte zwar eine eigene Presse und platzierte die Elemente so, dass er das ungefähre Ergebnis beeinflussen, aber nie bestimmen konnte. Der Zufall spielte immer mit. Was daran Kunst sein soll darf man zurecht fragen.
Aber da war doch noch etwas mehr. Er studierte Kunst während der Zeit des ersten Weltkrieges mit der zusätzlichen negativen Voraussetzung, dass er keinerlei finanziellen Mittel hatte. An der Kunsthochschule aber ab es eine Mensa, Material und soziale Kontakte. Er begann mit Arbeiten aus Schrott und gefundenen Metallen ohne Kosten, die er zu Figuren zusammenschweißte.

In den sechziger Jahren begann er seine « Compressiones », die gequetschten Metalle. Über das Gründungsmitglied der »Neuen Realisten«, Pierre Restany kam er zu der Erkenntnis dass seine Arbeiten eine Weiterentwicklung von Duchamps Ready‑mades seien, «Objets plus». ( Duchamp, der in vielerlei Hinsicht die Voraussetzungen für die Neuen Realisten schuf, erwähnte ich in dem Blog über Außenseiter und Einzelgänger vom 10. Oktober 2021.) Martina Meister zitierte César am 17.02.2018 in der »Welt«, „ich bin ein Bildhauer in der Tradition. Ich bin, wie meine Mutter sagte, Michelangelo oder Rodin. Ich bin zugleich Duchamp oder Man Ray.“ “Ein klassischer Bildhauer, der die Welt auseinandernahm“, fügte sie noch hinzu.

Er wollte die Membran von Gegenständen sprengen, entweder durch Zusammendrücken oder durch Auslaufen. Letzteres geschah in den « Expansions » und erfolgte mit Polyethylenschaum, den er aus Gegenständen bei Happenings herausquellen ließ. Die Produkte wurden konserviert und verkauft.
Ein weiterer Themenkomplex sind seine überdimensionalen Daumen, deren Ursprung einerseits in seinem Interesse für den menschlichen Körper lag, andererseits aus dem Signal des erhobenen oder gesenkten Daumens, mit dem über das Schicksal der Gladiatoren im alten Rom entschieden wurde. Dies soll eine Kindheitserinnerung gewesen sein. Der erhobene Daumen wurde später als positives Signal allgemein verwendet, bis hin zum Emoji.

Das Zweite, für das er bekannt ist, hatte ich noch nicht erwähnt. Es ist der nationale französische Filmpreis, der als von César gestaltetes vergoldetes Objekt im Stil der « Compressiones », daraufhin auch seinen Namen erhielt.

Mit Arman (oder Armand Fernandez) (1928 – 2005) verbindet man möglicherweise eigene Eindrücke, von Werken, die meistens aus einer Ansammlung gleicher oder ähnlicher Gebrauchsgegenstände bestehen. Man kann auch hier mit Recht fragen, was das soll, ob das noch Kunst ist. Der Gedanke, den Arman damit umgesetzt hat, besteht darin, Gegenstände, die gleiche Funktionen haben in ihrer Unterschiedlichkeit zu zeigen, die sonst nicht wahrgenommen wird. Ich fühle mich da an einen Warenkatalog erinnert. Der kritische Hintergrund, den er damit verbindet, ist ähnlich wie bei Tinguely, eine Auseinandersetzung mit der Vielzahl von oft technischen Dingen, die menschliche Lebensräume nutzvoll füllen, zugleich aber auch einschränken. Heute nennt man das wohl Konsumterror. Er benutzte dafür gebrauchte, wertlos gewordene Gegenstände. (Ausgehend von dem Wertverlust könnte man auch den ursprünglichen Kaufwert in Frage stellen. Brauche ich das wirklich, ist der Preis angemessen für mich?)

Diese, »Akkumulation« genannten, Werke ergänzte Arman später durch die Ummantelung mit Kunstharz, Inklusionen, später auch „unsichtbar“ in Beton.

Er lernte Yes Klein, den ich am 16.3.2021 vorstellte, in einem Judo-Club kennen und freundete sich mit ihm an. Yves Klein hatte unter anderem eine Ausstellung, die er « Le Vide » (»Die Leere«) nannte, gemacht, in der buchstäblich nichts zu sehen war, ein leerer, blau beleuchteter Raum. Arman machte als Gegenstück eine Ausstellung mit dem Titel « Le Plein » (»Die Fülle«) und präsentierten einen Raum voller Abfälle.
Link neben weiteren Abbildungen: https://socks-studio.com/2019/11/23/iris-clert-yves-klein-the-void-arman-the-full-up/
Die grundsätzliche Idee verfolgte er weiter mit einer Serie, die er »Mülleimer« nannte, Abfälle, die er aus Papierkörben sammelte mit der vielleicht albernen, aber nicht uninteressanten Idee, dass die Abfälle einer Person die Essenz ihrer Persönlichkeit zum Vorschein bringen. (Nach Taline Oundijan, 02/2016, Rouge à Lettres, WordPress) Er liebte es, das Publikum zu schockieren und hat nach einigen Aussagen den ansteigenden Konsum kritisieren wollen. Zunächst in Glasbehältern, bereiten die späteren Ausführungen in Kunstharz (»Inklusionen«) keine Konservierungsprobleme mehr. auch »Akkumulationen« wurden eingegossen.

Das Thema seiner »Akkumulationen« griff er in Großplastiken wieder auf, die er im Auftrag anfertigte. Der Uhrenturm vor dem Gare Lazare ist ein Beispiel. Er stieß, wie so oft zunächst auf massiven Widerstand beim Publikum, ist aber heute ein beliebter Magnet für Besucher, besonders im Zeitalter von Selfies.

»Neuer Realist« war er, wie auch die anderen Künstler dieser Gruppe durch die gänzlich neue Herangehensweise an die Realität. Die gebrauchten Objekte, die Arman verarbeitete sind Zeugen von vergänglichen menschlichen Lebensphasen, geprägt von Massenfabrikation, Konsum und Zerstörung, also Begleiter und Spiegel der realen Realität.
Neben diesen additiven Verfahren hat Arman auch Werkstoffe reduziert. Er sprengte Gegenstände, verbrannte sie und zersägte sie, sehr oft Musikinstrumente. Auch die Plastik » Eros inside Eros« fällt unter diese Kategorie hier und ist Beispiel für seine »Schnitte«

Arman hat neben diesen bekannteren Werkkategorien noch weiteres Verfahren im Laufe seines Lebens angewandt. Wer sie sehen möchte findet sie in seinem Online-Werkverzeichnis.
https://www.arman-studio.com/index2.html