Max Beckmann

Auch Max Beckmann (1884 – 1950) nahm an der Mannheimer Ausstellung der »Neuen Sachlichkeit« teil, wird von Wikipedia aber mit einer nicht weiter ausgeführten „Sonderrolle“ angeführt.
In der Tat ist Beckmann eine schwer einzuordnende, schillernde Künstlerpersönlichkeit, wie die Einzelgänger, bzw. Individualisten, die ich bereits am 10.10. vorgestellt habe. Trotz ihrer singulären Stellung in der Kunstgeschicht finden sich doch alle künstlerischen Erscheinungsformen unter dem Dach der Moderne zusammen. Die Welt war für alle die Gleiche und die Künstler reagierten darauf, allerdings unterschiedlich. Ich möchte in einem späteren Blog darauf eigehen, dass manche Künstler unbewusst auf die Moderne reagiert haben und auf eine tasende, stille Weise modern waren. Beckmanns Besonderheit liegt darin, seine Kunst modern werden zu lassen, ohne den anderen „modernen“ Künstlern in die Gegenstandslosigkeit, Expressivität oder Abstraktion zu folgen.

Beckmanns Malweise ist zu Beginn sehr traditionell, er ging nicht nur zu Anfang von der Zeichnung aus, so dass es naheliegt, dass er eine figürliche und nicht abstrakte Malweise bevorzugte. Entsprechend traditionell gemalt ist das Doppelportrait mit seiner Frau von 1909, das an die Kompositionsweise von Gainsborough erinnert, oder das Portrait von seiner Frau Minna Beckmann-Tube von 1910.
Links zu nicht freigegebenen Werken:
(http://derarchitektbda.de/der-avantgardist-und-die-stadt/port-2/ )
https://www.slam.org/collection/objects/13425/

Den Expressionismus, den er bei der »Brücke« vorfand, lehnte er ab. Der modernen Malerei von Picasso, Matisse und den Expressionisten setzte er einen weitestgehend gegenständlichen Stil entgegen. Von detailnahen Abbildungen entfernte er sich später. Früh entstand der Kontakt zu Julius Meier-Graefe, einem bekannten Kunstkritiker und -Theoretiker, der heutigen Kunstkritikern in seiner Deutlichkeit weit voraus war und der Beckmann bis zu seinem Tod begleitete und durch seine Schriften förderte. Beckmanns neue stilistische Ausrichtung begann nach dem ersten Weltkrieg, bei dem er einen Nervenzusammenbruch bekam, hin zu seiner deutlichen, wenn nicht sogar drastischen Figürlichkeit, einer Moderne ganz anderer Art als die ungegenständlichen oder expressiven Tendenzen. Ein Zeugnis ist das Bild »Die Nacht« aus der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, das die Ermordung einer Familie zeigt. Die Brutalität findet ihren formalen Ausdruck in einer drastischen Darstellungsweise, die derjenigen von George Grosz ähnelt. Die Betonung von Umrissen und Kanten und die Zersplitterung der Formen weisen bereits auf seine künftige Malweise hin.

Max Beckmann, die Nacht, 1919/1919, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Bild: Uri Jimenez Carrasco, flickr. (CC BY 2.0)

Nach dem ersten Weltkrieg arbeitete Beckmann mit einem malerischen Selbstverständnis, das er »Transzendente Sachlichkeit« nannte. Nur vordergründig ist dies eine Anspielung auf die Neue Sachlichkeit. Beim genaueren Hinschauen meint Transzendenz das Überschreiten einer Grenze, hier wohl die der Realität, während Sachlichkeit eben diese Realität zum Ausdruck bringt. Der Begriff scheint also ein Widerspruch in sich zu sein. Dass Beckmann der gegenständlichen Wiedergabe von Formen verpflichtet ist, ist mittlerweile deutlich geworden. An der modernen Malerei lehnte er zunächst die Flächigkeit der Darstellung z.B. bei Gauguin ab, die „den Begriff einer Tapete, eines Plakats nicht mehr von dem eines Bildes unterscheidet“ (Beckmann, Gedanken über zeitgemässe und unzeitgemässe Kunst, 1912) In der Zeit, von der jetzt die Rede ist, versucht er eine „Magie der Realität“ bildnerisch umzusetzen. Formal lässt er die die räumliche Illusion der Vorkriegsjahre hinter sich und bekennt sich zu der zunächst kritisierten Flächigkeit. Hierin durchdringt er die dreidimensionale Realität und setzt sie in flächige Anordnungen um. Transzendent für ihn ist dabei die Spannung, die beim Übergang des Raumes in die Fläche entsteht. Beispiele sind die unten gezeigten Bilder. Die kantigen Flächen des Vordergrundes verstellen bei dem Blick durch das Fenster die Sicht auf das räumlich dahinter liegende Meer. Schwer zu definierende Gegenstände sind zusätzlich dazwischen geschaltet, so dass eine räumliche Abfolge gegeben ist. Der Ausschnitt mit dem Meer scheint selbst zum Bild zu werden, die Natur zur Kulisse.

Max Beckmann, Blick auf das Meer (rot, grau, blau), 1928, Museum Ludwig, Köln. Bild: Bernard Blanc, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0)

Der Maskenball zeigt einen Zwischenschritt zwischen seinen Anfängen und der späteren Malweise, für die er bekannt ist. Trotz der Bearbeitung des Raumes hin zur Fläche verbleiben die Figuren noch in einer reduzierten, aber relativ naturgetreuen Darstellungsweise.

Max Beckmann, Vor dem Maskenball, 1922, Bayrische Staatsgemäldesammlung (Sammlung Pinakothek), München. Bild: jean louis mazieres, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0)

Wie alle ernsthaften Künstler brachen auch für Beckmann nach 1933 schwierige Zeiten an. Zuerst wurde ihm als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Frankfurt am Main gekündigt. Eine letzte Ausstellung gab es in Hamburg. 1935 wurden seine Bilder beschlagnahmt und später teilweise als »Entartete Kunst« ausgestellt, andere wurden verbrannt. Beckmann versuchte so lange wie möglich in Deutschland zu bleiben, bereitete allerdings auch eine Auswanderung nach Amerika vor. Er musste aber zunächst über Paris mit Amsterdam vorliebnehmen. 1937 emigrierte er einen Tag vor der Eröffnung der »Ersten großen Deutschen Kunstausstellung« am 18.7.1937 durch Hitler, die als Gegendarstellung zur »Entarteten Kunst« von Regime geförderte Kunst zeigte. In seiner Bilderliste vermerkte er diesen Termin.
https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Sonderausstellungen/MaxBeckmann/Objekte/01ZeitVorExil/beckmann-bilderliste.html?catalog=1

Zu den zahlreichen Selbstbildnissen aus diesen schwierigen Jahren gehören das »Selbstbildnis mit schwarzer Kappe« und das »Selbstbildnis mit Glaskugel«

Das »Bildnis mit schwarzer Kappe« zeigt einen Beckmann mit leeren Händen, die er buchstäblich nach seiner Entlassung aus der Städelschen Kunstgewebeschule hatte. Die auf anderen Bildern häufig gezeigte korrekte Kleidung ist hier durch einen legeren Hausmantel ersetzt worden, ein Hinweis auf den Rückzug aus der Öffentlichkeit. Der Blick ist ernst, man könnte eine Mischung aus Trotz und Enttäuschung darin sehen.

Das »Bildnis mit Glaskugel« entstand, als er nach Amerika auswandern wollte und nicht wusste, was auf ihn zukommen würde. Die Glaskugel als Medium der Wahrsagung steht für die Suche im Ungewissen. Unter anderem interessierte ihn auch die Esoterik auf seiner Suche nach Erkenntnis hinter den offensichtlichen Erscheinungen. Die helle Stirn kontrastiert mit der dunklen Augenpartie, die Sicht könnte getrübt sein, das Geistige nicht.

Ein drittes biographisches Bild, »Befreiter Sträfling (Der Befreite)« zeigt Beckmann mit gesprengten Ketten vor einem Gitter und in Sträflingskleidung. Es ist das erste Selbstbildnis in der Emigration. Der Titel spricht für sich.

Max Beckmann, Befreiter Sträfling (Der Befreite), 1937, Bayrische Staatsgemäldesammlungen (Sammlung Pinakothek), München. (CC BY-SA 4.0)

Ein ernsthafter, mitgenommen wirkender Beckmann, der Name erscheint undeutlich auf der Schulter. Eine gesprengte Halskette hält er noch in der Hand, das Gitter, das ihn einsperrte, liegt hinter ihm.

Im Exil fertigte Beckmann eine ganze Reihe bekannter Gemälde. Sein erstes Bild dieser Art, »Abfahrt«, stellte er noch in Deutschland fertig. Die aus religiösen Darstellungen übernommene Form der drei Tafeln haben bis auf eine Ausnahme keine religiösen Inhalte. Wie aber schon bei der Glaskugel ersichtlich wurde, war Beckmann auch an einem Verständnis, das über die Grenzen des Rationalen hinausgeht, interessiert. An mythischen Inhalten, an dem was heute esoterisch genannt wird, an christlichen und vorchristlichen Inhalten und Motiven. Zu diesem Bild hat er selber einige Anmerkungen gemacht, während er sonst auf dem Standpunkt stand, dass der Dialog zwischen Betrachter und Bild nicht durch fremde Interpretationen beeinflusst werden soll. Wie man sieht, ist er diesem Standpunkt trotzdem treu geblieben.

Departure (Die Abfahrt), 1932 – 1935, Museum of Modern Art, New York. Bild: Jaime Vega, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0)

Zur Interpretation seiner Bilder hat sich Beckmann zu diesem Bild sehr deutlich geäußert:

„Auf die Frage Curt Valentins nach einer Deutung der Darstellung schrieb MB am 11. Februar 1938:
«Stellen Sie das Bild weg oder schicken Sie’s mir wieder lieber Valentin. Wenn’s die Menschen nicht von sich aus aus eigener innerer Mitproductivität verstehen können, hat es gar keinen Zweck die Sache zu zeigen.
Für mich ist das Bild eine Art von Rosenkranz oder ein Ring von farblosen Figuren, der manchmal, wenn der Contakt da ist einen heftigen Glanz annehmen kann und mir selber Wahrheiten sagt die ich nicht mit Worten ausdrückcn kann und auch vorher nicht gewusst habe. – – – Es kann nur zu Menschen sprechen, die bewusst oder unbewusst ungefähr den gleichen metaphysischen Code in sich tragen.
Abfahrt, ja, Abfahrt vom trügerischen Schein des Lebens zu den wesentlichen Dingen an sich, die hinter den Erscheinungen stehen. Dies bezieht sich aber letzten Endes auf alle meine Bilder.
Festzustellen ist nur, dass ‹die Abfahrt› kein Tendenzstück ist und sich wohl auf alle Zeiten anwenden lässt. – – – […]»
(Brief im Besitz des Museum of Modern Art New York, Archiv Painting and Sculpture Department. Ermittelt von Inga Forslund.)“ (zitiert nach Göpel, s.o.)

Interpretationen seiner Bilder liegen entweder auf der Hand, wie bei den oben gezeigten Selbstportraits, oder sind müßig. Beckmann beruft sich hier auf eine der Kunst allgemein zugesprochene Eigenschaft, mehrdeutig zu sein, so dass jeder Betrachter sich eine eigene Vorstellung von dem durch ein Bild transportierten Inhalt machen kann.

Trotzdem gibt es eine sehr tiefgründige Auseinandersetzung mit diesem ersten Triptychon anlässlich mehrerer Beckmann-Ausstellungen 2021 durch ein Video der Deutschen Welle, das ich trotz Beckmanns Verweigerung als Ergänzung oder als Beispiel für ein Herangehen an seine Werke vorstellen möchte:

Das Triptychon »Die Versuchung des heiligen Antonius«, das Bild mit dem religiösen Thema, begann er in Deutschland und vollendete es im Amsterdamer Exil. Es enthält ebenfalls zahlreiche Anknüpfungspunkte für seine Deutungen, die ohne Hilfe kaum zu entschlüsseln sind

Triptychon Versuchung (des heiligen Antonius), 1937, Bayrische Staatsgemäldesammlung, Sammlung Pinakothek, München. (CC BY-SA 4.0)

Wörtliches Zitat hierzu von Göpel Erhard / Göpel Barbara 1976, S. 290 „:Die Benennung des Triptychons durch MB verweist auf ein von ihm wiederholt gelesenes Buch, «Die Versuchung des Heiligen Antonius» von Gustave Flaubert (La Tentation de Saint Antoine, 1874; deutsch zuerst 1909. MB hat – lt. Schiff – nur die dritte, endgültige Fassung gekannt). Flaubert hat sich, wie Beckmann, mit Gnostizismus und Mystik befasst.“
Katalog: https://beckmann-gemaelde.org/439-versuchung

Der Titel, »Die Versuchung des heiligen Antonius« ist nicht unbedingt naheliegend bei diesen Bildern. Beckmanns Imagination hält sich nicht allzu sehr an die Heiligengeschichte, schon Flaubert hatte Antonius eher resigniert und wenig entschlossen dargestellt, am Ende bleibt bei ihm offen, ob er den Versuchungen widersteht oder nicht. Resignation lässt sich auch aus den Gesichtern der Personen auf dem Triptychon herauslesen. Auf allen drei Tafeln sind gefesselte Menschen zu sehen, was wohl sehr deutlich auf Beckmanns Gefühl als deutscher Künstler Bezug nimmt. Er musste noch befürchten, mit seiner deutschen Staatsbürgerschaft als Feind nach Deutschland abgeschoben zu werden. Erst 1947 erhielt er ein Visum für Amerika. Auf der mittleren Tafel sieht man einen liegenden Mann vor einem Bild, das nur aus zwei Farben besteht, aber schon wie ein fertiges Werk gerahmt ist. Die Füße des Mannes sind gefesselt, die Hände durch eine lange Kette, die sich ebenfalls wie eine Fessel um die Handgelenke schließt. Es gibt nichts mehr zu malen, das Modell hat bereits verwelkte Tulpen in der Hand. Der Maler trägt Züge von dem homosexuellen Maler Willem Arondeus. Beckmann legt ihn/ sich symbolisch in Fesseln, da Homosexualität von den Nationalsozialisten massiv verfolgt wurde.

Die gefesselten oder eingesperrten Frauen links und rechts werden mit entblößter Brust gezeigt, ein Zeichen ihrer Erniedrigung. Auch für die rechte Frau gibt es eine mögliche Identifizierung, eine jüdische Kindergärtin. Rechts trägt eine kniende Frau eine Fessel um den Mund und wird von einem Pagen an der Leine gehalten. Sie hat ein markant jüdisches Profil und spielt ohne Zweifel auf das Schicksal der Juden in Deutschland an. Es gibt noch weitere Bezüge in diesem Bild, die den Rahmen hier sprengen würden. Obwohl das Thema der Versuchungen dazu geeignet wäre, Leidenschaften anzusprechen, denen man schwer widerstehen kann, wirken die Frauen und der Maler resigniert oder traurig. Die Frauen scheinen gebrochen und lassen die Qualen über sich ergehen. So zumindest die Gedanken, die in der Pinakothek dazu geschrieben werden.

Ähnlich wie Ferdinand Hodler seine beiden Gemälde »Der Tag« und »Die Nacht« als Gegenstücke zueinander verstanden hat, gab auch Max Beckmann einem solchen Begriffspaar einen bildnerischen Ausdruck. Das Bild »Geburt« war das erste, dass er im Amsterdamer Exil malte. Möglicherweise stand das Motiv im Zusammenhang mit dem Neubeginn. Die Szene spielt in einem Zirkuswagen, das Wort „Circus“ ist an zwei Stellen zu sehen. Beckmann stellte oft Accessoires oder Personen aus dem Zirkusleben dar. Zirkus und Bühne waren für Beckmann Symbole für die menschliche Existenz.“ (Staedelmuseum über »Zirkuswagen«)

Es gibt nur entweder sehr schlechte oder nicht legal verwendbare Abbildungen, deshalb dieser Link: https://beckmann-gemaelde.org/478-geburt

Wir haben gesehen, dass trotz Beckmanns Weigerung, seine Werke zu erläutern, zahlreiche Anspielungen und Symbole in seinen Bildern enthalten sind, die „aus eigener innerer Mitproductivität“ (s.o.) verstanden werden können. Die Blumen neben dem Bett und die Kerze sind Symbole für den Kreislauf des Lebens, beide vergehen recht schnell im Laufe der Zeit. Eine dunkle Figur hinter dem Geburtshelfer muss als Symbol des Todes verstanden werden. Der Kopf des Neugeborenen als Zentrum ist oben in der Mitte, die Achsen der anderen Köpfe laufen auf ihn zu, während das Kind aus dem Bild heraus zu blicken scheint. Dabei bilden die liegende Mutter und die stehende Hebamme ein Kreuz, an dessen Spitze der Kopf des Neugeborenen so platziert ist, dass bei einer Ausstellungsbesprechung (Max Beckmann – Exil in Amsterdam 2007) das Symbol einer Kreuzigung mit der Geburt verbunden ist. Unten links ist ein Clown zu sehen, der neben der dunklen Figur als einziger, nicht in das Geburtsgeschehen integriert ist, ein skeptischer Beobachter im Zirkus des Lebens.

Max Beckmann, Tod, 1938, Staatliche Museen zu Berlin. Fotonachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / André van Linn (CC BY-NC-SA 4.0)

Das Gemälde »Tod« ist ein Gegenstück zur »Geburt« mit identischer Größe. Es soll unter dem Eindruck des Todes von Ludwig Kirchner entstanden sein, zu dem aber kein persönlicher Kontakt bestand. Hier ist vieles auf den Kopf gestellt. Die Bodendielen sind an der Decke, darauf kopfüber dämonische Wesen, darunter ein weißes mit einem Penis, das in ein Blasinstrument bläst und vorgibt, trotz seines Aussehens als Engel zu erscheinen, sowie ein dunkler Männerchor. Einer der Männer hat drei Gesichter. Es gibt eine lange Tradition bis hin zu vorchristlicher Zeit, in der dreiköpfige Darstellungen immer wieder auftauchten. Am sinnvollsten hier scheint mir hier eine Deutung solcher Enbleme von Achille Bocchi aus dem 16. Jhd., nach der die Verkörperung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dargestellt wird. Man kann diese Phantasiewesen als Mischwesen einer Realität jenseits des Sichtbaren verstehen.

Ein farbiger Priester mit mehreren Füßen hat eine erloschene Kerze in der Hand, zwei brennende stehen vor dem Sarg mit der Toten, die auf Eis gebettet scheint. Kerzen als Symbole der Vergänglichkeit wurden bereits erwähnt. Rechts umarmt eine Frau einen Fisch, ein Motiv, das Beckmann bereits 1934 in einem gleichnamigen Bild dargestellt hat. Allerdings waren dort die zwei Lebewesen, eine Frau zusammen mit einem vermutlich männlichen Akt, aneinander und an einen Fisch gefesselt. Dieses Bild soll zeigen, dass Beckmann auf seine zweite Frau Quappi angewiesen war, wobei die Frau im sprichwörtlichen Sinn den Kopf oben behielt. Abgesehen davon wird der Fisch von Beckmann als Phallus- und Fruchtbarkeitssymbol eingesetzt und thematisiert so auch den Zyklus von Leben und Sterben.

Max Beckmann, Abtransport der Sphinxe, 1945, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe. (CC0)

Nach Beckmanns Tagebuch macht er sich an die Arbeit zu dem Bild »Abtransport der Sphinxe«, als sich das Ende des Krieges abzeichnete, Holland war noch besetzt, aber Frankreich bereits befreit.

Die unheilbringende Sphinx wird rechts auf einem Henkerskarren gefahren, der Henker wartet unten links. Zwei weitere Sphinxen hocken auf einem Torbogen, auf dem Beckmann wieder einige Wortfragmente untergebracht hat. (Auch die Blätter hinter dem Maler bei dem heiligen Antonious du das Käppi des Pagen auf der Geburt trugen solche Zeichen.) Hier kann entweder das niederländische Wort für Garten gemeint sein, TUIN, zusammen mit einem Fragment von [P]ARK, ebenso wie „ARK“ und „TOIR“ (arc de victoire), wie die Kunsthalle meint. Für Park spricht die Ähnlichkeit der beiden Sphinxen mit denjenigen am Eingang des Amsterdamer Wertheimparks. Da die Sphinxe im Bildtitel in der Mehrzahl genannt sind, dürften auch sie auf den Abtransport warten, die Kopfbedeckungen können Jacobinermützen ähneln und somit an die Schreckensherrschaft der Jacobiner erinnern. Eine hölzerne Kanone steht im Hintergrund, die Farben im oberen Teil des Bildes sind, ebenfalls nur möglicherweise, Verweise auf die französischen, aber auch die niederländischen Farben.

Sein letztes Bild, das Triptychon »Argonauten«, vollendete Beckmann einen Tag vor seinem tödlichen Herzinfarkt, zwei weitere blieben unvollendet.

Max Beckmann, Argonauten, 1950, National Gallery of Art, Washington D.C. Bild: Jane023, Wikipedia. (CC BY-SA 3.0)

Beckmann nennt die Frauen auf der rechten Tafel „Chor“ in -Anlehnung an das antike Theater, in dem der Chor das Geschehen begleitet. Die linke Tafel nennt er „Maler und Modell“. Das Modell, als Medea identifizierbar, die Jason heiratet, sich aber blutig rächt, als Jason sie zugunsten der Tochter des Königs von Korinth verlässt. Die Gefahr, die von ihr ausgeht wird durch das Schwert symbolisiert, die Maske, auf der sie sitzt soll die von ihr nicht geachtete Kultur bezeichnen. In der Mitte sind wohl Orpheus, identifizierbar an dem Kranz und der Leier, sowie Jason zu sehen. An dessen Kopf hat Beckmann laut seinem Tagebuch zwölf Stunden gemalt. Die Bilder gelten, ohne dass er seinen bevorstehenden Tod geahnt hatte, als Vermächtnis. Es zeigt das Ende einer (Lebens?-) Reise, die mit der »Abfahrt« begann, die Jünglinge sind für die Zukunft gewappnet und der alte Mann aus dem Meer weist ihnen den Weg.

Beckmann beendete die Arbeit an dem Triptychon am 26. Dezember 1950, am 27. Dezember bricht er in New York tot auf der Straße zusammen.

Die Interpretationsansätze beziehen sich auf die Quellen der bereits genannten Autoren Erhard und Barbara Göpel, Autoren des Werkverzeichnisses der Kaldewei Kulturstiftung (https://beckmann-research.org/goepel-erhard-goepel-barbara-1976 ), auf die Kommentare der Münchener Pinakothek und der staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Beckmanns Tagebuchaufzeichnungen, die virtuelle Ausstellung „Künste im Exil“, sowie die NOZ MEDIEN der neuen Osnabrücker Zeitung.
Meine eigene Inspiration reichte für die Symbolik Beckmanns nicht aus, so dass ich mir die wissenschaftlich akzeptierte Methode des Quellenstudiums zunutze gemacht habe, in der Hoffnung, in meinen Ausführungen nicht allzu wissenschaftlich abgehoben geworden zu sein.

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