
Dieses Bild von Pieter Brueghel dem Älteren, ist mir im Laufe meines Kunststudiums begegnet, ohne dass ich allzuviel damit anfangen konnte. Gut, ein Bild auf dem nacheinander Menschen zu Fall kommen, weil sie ohne Augenlicht sind, sich aneinander festhalten und sich gegenseitig nicht helfen können. Kunstvoll gemalt allerdings, ein alter Schinken.
Das Bild stellt blinde Menschen dar, die sich einer am anderen festhalten. In ihrer Blindheit sind sie wohl vom Weg abgekommen, der erste rechts stürzt schon in einen Teich, die anderen drohen ihm zu folgen, der zweite ist ebenfalls schon im Sturz begriffen. Die Reihe der blinden Menschen folgt einer Diagonalen von links oben nach rechts unten, die wie mit unserer abendländischen Art zu lesen, von links nach rechts als fallend wahrnehmen. Es ist die Schilderung einer Bewegung, deren Ablauf sich auf verschiedene Personen verteilt. Eine sehr moderne Bemühung, die mich an ein Bild von Duchamp erinnert. Parallel dazu sieht man eine Kante, die zu einem Abhang zu gehören scheint, die ebenfalls in die gleiche Richtung läuft. So gesehen haben die verirrten Blinden noch Glück gehabt, nicht dorthin geraten zu sein.

Blindheit galt zu jener Zeit als Strafe des Himmels, Blinde wurden mit geschlossenen Augen gemalt. Nicht aber bei Brueghel. Die Augen bei Dreien sind geöffnet und so deutlich gemalt, dass man den Grund für die Erblindung erkennen kann. Der Linke (dritter von links) hat ein Glaukom, der Zweite hat den schwarzen Star (ein Ausdruck des 16. Jhd.) und der letzte, der ebenfalls schon fällt wurde geblendet. Dieser scheint uns trotz seiner Blindheit anzusehen, als wenn er etwas sähe, was sehenden Menschen verborgen bleibt.
Das Gleichnis vom Blindensturz findet sich an mehreren Stellen in der Bibel, u.a. bei Matthäus 15,14, in der Jesus sagt, dass die Pharisäer blinde Blindenführer seien. Und wenn ein solcher die anderen führt, würden beide in eine Grube fallen. Pikanterweise gab es eine Vorgeschichte, in der es um das Händewaschen vor dem Essen ging und in der er sagte, dass nicht das unrein mache, was in den Mund hineinkommt, sondern das, was herauskommt. Heute würde man das Kirchenkritik nennen und Jesus früher einen Ketzer. Dieser Gedanke stammt aus Sebastian Franks „Ketzerchronik “von 1531.

Eine Kritik an der Kirche war Brueghel natürlich zu riskant. Allerdings fragt man sich, warum dieser Maler der Symbolhaftigkeit, der es geschafft hat, auf dem obigen Bild fast 100 niederländische Sprichwörter unterzubringen, hier so sparsam mit Bildsymbolen umgeht.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Die_niederl%C3%A4ndischen_Sprichw%C3%B6rter)
Bei genauerer Betrachtung finden sich dann doch einige. Die Kirche erscheint hinter der Lücke zwischen den beriets im Fall Begriffenen und den Folgenden. Es könnte sich also um eine religiöse Stellungnahme handeln. Da Brueghel die Kirche so gemalt hat, dass der obere Bildrand das Kreuz auf der Kirche abschneidet, könnten wir sogar von einer Kirchenkritik ausgehe, in Anlehnung an Jesus gegenüber den Pharisäern. Das Bild zeigt also oberflächlich Menschen, die aufgrund einer Verfehlung erblindet sind (s.o.), aber versteckt den Fall der christlichen Religion. Es ist Kritik an einer Kirche die sich als Hüterin des orthodoxen Glaubens versteht, die sich selbst genügt und der es an Demut mangelt. Ein direkter Nachfahre dieses Selbstverständnisses ist wohl der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, sowie die Täter, die er kraft seines Amtes deckt. Die Blume im oder am Teich ist eine Lilie, die als Symbol für die wahre Kirche gesehen wird. So interpretiert wird die offizielle Kirche zur eigentlichen Blindenführerin. Die räumliche Trennung von den unweigerlich Fallenden und den noch Folgenden durch die Lücke mit der Kirche zeigt wohl, dass manche sich noch retten könnten
Ich habe an dieser Stelle noch einen modernen Zusatz, in Anlehnung an den Sänger Klaus Hoffmann. So wie der zweite Blinde von rechts uns ansieht als würde er sehen und vielleicht sogar mehr sehen als nicht blinde Menschen, singt Hoffmann über die Blinde Katharina.
Dieses Lied von 1976 ist für mich genauso aktuell wie das Bild von Brueghel von 1586. Es beinhaltet die Einstellung, dass Menschen, die mit einer körperlichen Einschränkung leben müssen, nicht weniger wert sind als Menschen ohne Einschränkungen und das, was sie von anderen unterscheidet durch Fähigkeiten ausgeglichen werden kann, die wiederum „Gesunde“ nicht entwickelt haben. Auch wenn dies einmal nicht der Fall sein sollte, sind es vollständige Menschen und keine Mangelwesen.
für E.