Der Tod und die Zeit davor (1) – Von Memento Mori zu Carpe Diem

Tagesaktualität ist nicht Anliegen diese Blogs, doch drängen manche Themen bisweilen nach vorne, auch die Ungeliebten. Gewiss gibt es zahlreiche Aspekte des Menschlichen, die in der Kunst einen Ausdruck finden, doch sind meiner Meinung nach zwei Themen dominant: die Liebe und der Tod.

Der Tod wird schon sehr lange künstlerisch verarbeitet, antike Darstellungen, die mittelalterlichen Kreuzigungsbilder fallen mir ein. Als Folge der Kreuzigung dann zahlreiche Pietà-Darstellungen, am bekanntesten wohl die Skulptur von Michelangelo.

Mich interessiert hier mehr das Motiv des Totentanzes. Man sah es zuerst an einer Pariser Friedhofsmauer ab ca. 1424 während einer damaligen Pandemie, der Pest. Bei neuen Pestausbrüchen kehrte das Motiv mehrmals wieder. Die ganz frühen Darstellungen aus Paris sind zerstört, wurden aber beschrieben, frühe Holzschnitte davon ab 1485 sind erhalten geblieben.

Tanz der Gerippe, Holzschnitt von Michael Wolgemut in Hartmann Schedels Weltchronik von 1493.

Anfangs okkupierte die Kirche die Darstellungen als Mahnung für ein gottgefälliges Leben mit der posthumen Belohnung durch das Paradies, einem Memento Mori. Der Fokus richtete sich dann aber immer stärker auf den weltlichen Aspekt eines Lebens in Askese, mit dem Ziel allerdings, dieses möglichst zu verlängern. Diese Verlängerung durfte auch mit den Genüssen des Lebens einhergehen. Kurz genug war es ja immer noch. Daneben hatte der Totentanz auch ein nivellierendes Element, die Gleichheit aller Menschen vor dem Tod, unabhängig von Rang und Würde. Später wurde der tanzende Tod, der wohl anfangs den Schritt aus dem Leben erleichtern sollte, ein lebensbejahender Tanz mit dem Tod, dem man ohnehin nicht ausweichen konnte, ein Carpe Diem, nutze den Tag. Was angesichts der immer wiederkehrenden Pest einen Sinn ergab.

Auch im 20. Jahrhundert wurde das Motiv von mehreren Künstlern anlässlich der Weltkriege aufgegriffen. Z.B. von Felix Nussbaum.

Felix Nussbaum, Triumph des Todes, 18. April 1944, Felix Nussbaum-Haus, Osnabrück. Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. Public domain, via Wikimedia Commons.

Nussbaum vereint Themen und Stilrichtungen der Kunstgeschichte und verlängert damit die Kulturen der Vergangenheit über den zerstörerischen Augenblick hinaus. Er wurde zwei Monate nach der Fertigstellung des Bildes nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Der Todesengel, ambivalent, schwarz mit weißen Flügeln, und die musizierenden Skelette greifen das Motiv des Totentanzes auf. Zugleich lassen die musizierenden Skelette an eine beschwingte Musikantengruppe denken und thematisieren so noch einmal die Beständigkeit von Kultur und Lebendigkeit über den Tod hinaus.

In der Neuzeit gab es weitere Auseinandersetzungen mit dem Thema. Besonders durch Harald Naegeli, der als „Sprayer aus Zürich“ mehrere Totentänze auf Gebäude gesprüht hat. Wohl auch als Provokation gegen den arrivierten Kunstbetrieb, aber doch auch als rebellischer Akt gegenüber den großen industriellen Arbeitgebern. Eine Auseinandersetzung mit deren Niedergang und den daraus resultierenden Problemen der Arbeitnehmer wird ebenfalls darin gesehen. Memento Mori für die einen, Carpe Diem für die anderen.

Harald Naegeli – Totentanz – St. Cäcilien, Köln 1980.

Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Konfrontation mit dem unausweichlichen Tod, besonders, wenn er schon vor der Tür zu stehen scheint, zu einer trotzigen Lebensbejahung führt, nach dem Motto: Es auch gibt ein Leben vor dem Tod. Als 1991 wegen des durchaus als bedrohlich empfundenen Golfkrieges der Kölner Karneval ausfiel, gab es einen Protestkarnevalszug, der als „Geisterzug“, eine Tradition aus dem 19. Jhd. (bis zum 1. Weltkrieg) wieder aufnahm. Abseits der gewohnt spießigen Prozeduren von Zug und Sitzungen erstand daraus eine alternative Karnevalsszene, die bis heute Bestand hat und mittlerweile den gesamten Charakter der 5. Jahreszeit in Köln verändert hat. Jeder Geisterzug mit Sambaklängen ist nichts anderes als eine Thematisierung des Todes in Form einer wilden, anarchischen Feier der Zeit davor.

„Toter Funke“ im Kölner Geisterzug. Eigenes Bild.

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