Pissarro

Camille Pissarro (1830 – 1903) war der Älteste der Impressionisten und gilt als der „Vater des Impressionismus“. Er durchlief mehrere Entwicklungsschritte, war ein „unruhiger“ Künstler in unruhigen Zeiten. Er wurde auf den dänischen Antillen geboren, wohin seine jüdischen Vorfahren über Bordeaux vor der Inquisition geflohen waren. Seine Schulbildung war unter diesen Voraussetzungen dürftig, eine künstlerische Ausbildung erhielt er zunächst nicht, was sein späterer Freund Paul Cézanne als Glück bezeichnete, so dass seine Anfänge nur von seinem eigenen Interesse geleitet waren. Mit 12 Jahren kam er ein erstes Mal über Kontakte nach Paris, wurde dann auf die Übernahme des elterlichen Betriebs vorbereitet, bis er seinem Vater erklärte, den Betrieb nicht zu übernehmen. Endgültig in Frankreich lehnte er die akademische Ausbildung als beengend ab und wurde stattdessen Schüler von Corot, wo er im Stil der Schule von Barbizon arbeitete. Ein Bild aus dieser Zeit, das auf Vermittlung seines einflussreichen Freundes Daubigny beim Salon von 1865 angenommen wurde ist »Die Marne bei Chennevières«:

Camille Pissarro, Die Marne bei Chennevières 1864/65, National Galleries of Scotland, Edinburgh. Bild: Lluís Ribes Mateu, flickr. (CC BY-NC 2.0)

Ohne akademische Vorschriften schloss er ab 1865 die Farben Schwarz, Grau und die Ockertöne aus seiner Palette aus und malte nur mit den drei Primärfarben und ihren Mischungen. Zudem arbeitete er oft mit einem Palettenmesser, was Details nicht zulässt.

Camille Pissarro, Die Unterhaltung, 1870, Stiftung Sammlung E. G. Bührle, Zürich. Bild: Art is a word, Flickr. (PDM 1.0)

1869 zog Pissarro mit seiner Frau und seiner ersten Tochter nach Louveciennes, bis er den Ort 1870 aufgrund des Krieges verlassen musste und nach London floh. Seine Wohnung in Frankreich wurde verwüstet, viele Bilder wurden zerstört. Er arbeitete bereits mit Monet und Renoir, fügt in seine Bilder aber häufiger Menschen ein, als die beiden anderen. In dem Bild »Die Unterhaltung«, das er kurz vor seiner Flucht nach London malte, sieht man seine Frau von hinten, im Gespräch mit einer Nachbarin und neben seiner Tochter. Die Rückendarstellung und das unscheinbare Karrenrad an der rechten Mauer werden als Positionierung gegen die Vorstellungen der Akademie gesehen, die solche Genstände nicht als bildwürdig einstufte. Pissarro hatte auch in späteren Jahren fast immer Menschen in seine Bilder integriert, häufiger als seine impressionistischen Freunde. Erste Merkmale des Impressionismus erkennt man in den fast konturlosen hellen Partien auf der rechten Seite, den farbigen Schatten, Grün auf dem Weg, dezentes Blau auf dem Zaun, sowie auch am Horizont. Während des Krieges diente Pissarros Haus Soldaten als Stall für ihre Pferde und zahlreiche Bilder wurden zerstört.

Wieder in Frankreich arbeite er mit seinem älteren Freund Daubigny, vermied aber sorgfältig den Eindruck, sein Schüler zu sein. Zu der Zeit hellte sich seine Farbpallette auf.

Camille Pissarro, La Route de Versailles, Louveciennes, 1872, Musée d’Orsay,Paris. Bild, JR P, flickr. (entzerrt) (CC BY-NC 2.0)

Ab 1872 arbeitete er auf die gleiche Weise mit Cézanne zusammen, den er von der Freilichtmalerei überzeugte. Oft malten sie nebeneinander dieselben Motive. 1874 nahm Pissarro an der ersten Ausstellung impressionistischer Maler teil, sowie als einziger Künstler auch an allen folgenden.

Paul Cézanne. Orchard, Cote Saint-Denis, at Pontoise (The Côte des Bœufs, Pontoise), 1877 (Museum of Fine Arts, St. Petersburg, Florida, USA) – links;
Camille Pissarro. Orchard, Cote Saint-Denis, at Pontoise (The Côte des Bœufs, Pontoise), 1877 (The National Gallery, London) – rechts.
Quelle: Museum of Modern Art, New York, Fair use permited: http://www.moma.org.

Das Bild mit den roten Dächern ist ebenfalls aus einer Zusammenarbeit mir Cézanne entstanden, der allerdings seine Version (Leihgabe im Museum of fine Arts, St. Petersburg, Florida, USA) nicht, wie Pissarro, auf der Impressionistenausstellung 1877 zeigte. Die Ebenen liegen bei Pissarro parallel zueinander, räumliche Tiefe ensteht durch nach oben (bzw. hinten) kleiner werdende Gebäude. Die reine Landschaftsdarstellung vergangener Zeiten macht hier einer theoretischeren Schaffung von Räumlichkeit Platz.

Camille Pissarro, Die roten Dächer, Côte Saint-Denis à Pontoise, winterlicher Effekt, 1877. Musée d’Orsay, Paris. Bild : Grégory Lejeune, Flickr. (CC0 1.0)

Pissarros rein impressionistische Arbeiten wirken auf den ersten Blick gar nicht dieser Kunstrichtung zugehörig, was wohl an den meist sommerlich anmutenden Farben und der Malweise seiner Kolleg:innen liegt. Das Bild Raureif wurde einerseits als Palettegekratze auf einer schmutzigen Leinwand kritisiert, während wohlwollendere Aussagen den Eindruck des Gemäldes hervorheben, das der Künstler zum Ausdruck bringen wollte. Die Schwere der Last in der winterlichen Landschaft wurde neben der kalten Farbgebung auch durch die aufsteigenden Ackerfurchen verbildlicht, die zugleich die Wirkung von Tiefe erzeugen.

Camille Pissarro, Raureif, 1873. Musée d’Orsay, Paris. Bild : Saliko, Wikimedia Commons. (CC BY 3.0)

Auch bei dem Bild aus Le Havre geht es Pissarro um den Eindruck, hier die neblige Atmosphäre im Licht der untergehenden Sonne, die den Weg in zartes Rosa taucht. Die Passanten und ihre Schatten passen sich im Gegenlicht der Farbigkeit an. Die sichtbaren Pinselstriche werden nach hinten kleiner, die Stadt verschwimmt im Grau der Dämmerung.

Camille Pissarro, Kai von Pothuis, Ufer der Oise, 1882, MuMa, Le Havre, Frankreich. Bild: Patrick aus Compiègne, Wikimedia Commons. (CC BY-SA 2.0)

In den 1880er Jahren wendet sich Pissarro dem Neo-Impressionismus zu. Die erste Form dieser Kunstrichtung nannte sich Divisionismus, was beinhaltete, dass man möglichst reine Farben in kurzen Strichen nebeneinander setzte, so dass sich aus einer gewissen Entfernung die Farben optisch mischten. Relativ deutlich wird dies bei dem Bild aus Knokke, während bei vielen anderen die Abgrenzung zum späteren Pointillismus schwer fällt.

Camille Pissarro, Die Dünen bei Knokke, Sonnenlichteffekte, Christie’s Auktion vom 14. Mai 2019, Bild: Netelo, via Wikimedia Commons. (CC0)

Der bekanntere Ausdruck, der sich aber auf das Setzen von Farbpunkten bezog, lautete Pointillismus. Der bekannteste Vertreter dieser Richtung war Georges Seurat, den Pissarro Mitte der 1880er Jahre kennenlernte und mit dem er sich anfreundete.

Camille Pissarro, Charing Cross Brücke, London 1890, National Gallery of Art, Washington, USA. (OA)
Camille Pissarro, Die jungen Bäuerinnen, 1890/91, Metropolitain Museum of Art, New York, USA. (OA)

In dieser Zeit näherte sich Pissarro politisch dem Anarchismus an. Die blutige Niederschlagung der Pariser Kommune von 1871 wirkte noch in den intellektuellen Künstlerkreisen nach, ebenso brachte die Dreyfus-Affaire Frankreich bis an den Rand einer weiteren Revolution. Kapitän Dreyfus, ein elsässischer Jude, wurde des Verrats beschuldigt. In einem Aufsehen erregenden Artikel verfasste Émile Zola in seinem berühmten Manifest „J’accuse!“ („Ich klage an!“) eine Anklage gegen den französischen Staat. Diese politischen Ereignisse sind neben anderen in unserem Nachbarland tief verwurzelt und sind von uns jenseits der Grenze kaum nachzuvollziehen. Aus künstlerischer Sicht ist es lediglich eine Episode, sie zeigt aber den engen Zusammenhalt innerhalb der Schar der französischen Künstler, die nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch die Moderne entstehen ließen.

Titelblatt der Zeitschrift «Aurore» vom 13. Januar 1898 mit der Veröffentlichung des Briefes von Émile Zola an den Präsidenten der Republik, M. Félix Faure aus Anlass der Affaire Dreyfuß

Was den Pointillismus angeht, wandte sich Pissarro wieder ursprünglicheren impressionistischen Malweisen zu. Der Pointillismus funktionierte nur in einer streng akademischen und disziplinierten Malweise, die dem Impressionismus eigentlich entgegen gesetzt war. Die Arbeit an Bildern dauerte verhältnismäßig lange und war aufwändig, sie entsprach in keiner Weise dem schnellen Verarbeiten von Sinneseindrücken in der freien Natur. Neben den nicht zufrieden stellenden künstlerischen Ergebnissen war die langwierige Arbeit auch finanziell unattraktiv. Pissarro mietete in mehreren Städten Hotelzimmer an, aus denen heraus er seine Stadtansichten malte. Ein Grund war sein schwächer werdendes Augenlicht, aber auch die Befriedigung der steigenden Nachfrage nach seinen Werken. Stadtansichten waren bei den naturverbundenen Impressionisten selten, sie finden sich sonst nur noch bei Monet und Caillebotte. Pissarro kehrte mit diesen Werken wieder zu seiner für ihn typischen Malweise zurück und schuf unter anderem eine Reihe von 14 Bildern, die er aus dem Fenster seines Hotelzimmers am Boulevard Montmartre malte, sowie zwei weitere vom Boulevard des Italiens.

Camille Pissarro, Boulevard Montmartre, 1897, Eremitage, St. Petersburg, Großfürstentum Moskau. Bild: Gandalf’s Gallery, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0) (aufgehellt)
Camille Pissarro, Le Boulevard Montmartre, mardi gras [Karneval], am Nachmittag, 1897, Musée d’Orsay, Paris. Bild : Jean-Pierre Dalbéra. Flickr. (CC BY 2.0)
Camille Pissarro, Boulevard Montmartre bei Nacht, 1897, National Gallery, London. (CC BY-NC-ND 4.0)

Pissarro verstarb am 13. November 1903 nach kurzer Krankheit und wurde auf dem Fiedhof Père Lachaise beerdigt.

Zusätzliche Ansichten des Boulevard Montmartre ohne Lizenzen finden sich hier: https://www.daskreativeuniversum.de/camille-pissarro-boulevard-montmatre/#google_vignette

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