Selbst bei den fortschrittlichen Künstlern spielen Frauen in der Kunst nicht die Rolle, die ihnen aufgrund ihrer Werke und ihren Fähigkeiten zusteht. Vermutlich ist künstlerische Arbeit mit einem starken Ego verknüpft, zumindest auf der männlichen Seite. Die Schwierigkeit, sich damit durchzusetzen und sich davon ernähren zu können ist allerdings geschlechtsübergreifend.
Mit Gabriele Münter und Marianne von Werefkin hatten im Expressionismus zwei Frauen eine wichtige Rolle gespielt bei der Unterstützung von Kandinsky und Jawlensky. Beide haben zumindest vorübergehend ihre eigene Arbeit zurückgestellt, obwohl es an Qualität nicht mangelte.

Gabriele Münter (1877–1962) war Mitglied der »Neuen Künstlervereinigung München«, Mitbegründerin des »Blauen Reiters« und ist eine der bekanntesten Vertreterinnen des Expressionismus. Nach der unrühmlichen Trennung durch Kandinsky erstritt sie einen erheblichen Anteil von Kandinskys Werken, den sie zusammen mit eigenen Bildern und Werken des »Blauen Reiters« dem Lenbachhaus in München schenkte.

Später in Murnau, gemeinsam mit Jawlensky und Werefkin, die sie bereits vorher kennengelernt hatte, entwickelte sie sich zu einer expressionistischen Künstlerin im eigentlichen Sinn. Ausdruck war ihr wichtiger als Perspektive, die Farbflächen wurden flächig, die Formen reduzierter. (siehe Abb.) Jawlensky empfahl ihr, Farbbereiche durch schwarze Umrisse zu trennen.

Während Kandinsky wegen des Ausbruchs des 1. Weltkrieges zuerst in die Schweiz und dann bis zur Oktoberrevolution nach Russland floh, lebte sie mehrere Jahre in Schweden. Dort war sie aufgrund ihres Engagements für den »Blauen Reiter« und wegen ihrer eigenen künstlerischen Qualität eine anerkannte eigenständige Künstlerin. Das änderte sich, als sie 1920 nach Deutschland zurückkehrte, wo ihre schwedischen Arbeiten ignoriert wurden. Der Begriff »primitiv«, mit dem sie belegt wurde, war ambivalent, weil die Expressionisten die Reduktion von Details im positiven Sinn »primitiv« nannten, allerdings wurde Münters Primitivismus nicht als künstlerisches Konzept gesehen, sondern als (weibliche?) Eigenheit. So galt sie immer als Anhängsel von Kandinsky, unter Ausschluss ihrer schwedischen Arbeiten.
Obwohl ihre Arbeiten, wie Sabine Windecker schreibt, durch Untersuchungen als eigenständig und konstruktiv erkannt wurden, wurde weibliche Kunst zu dieser Zeit nicht ohne Ressentiments aufgenommen. Ob sich heute so richtig viel daran geändert hat?

Marianne von Werefkin (1860–1938) stammte aus einer russischen Adelsfamilie, ihr Vater war ein angesehener Kommandant beim Militär und ermöglichte ihr eine unbeschwerte Jugend, später akademischen Zeichenunterricht, ein großes Atelier und bis zur Oktoberrevolution eine großzügige Rente.

Frühe Bilder waren realistisch und brachten ihr den Namen „Russischer Rembrand“ ein. Viele dieser Bilder sind verschollen, aber ihr Selbstportrait vermittelt noch einen ungefähren Eindruck. Später machte sie einen Abstecher in die Freilichtmalerei, nach dem Muster des Impressionismus.
1892 begann Werefkin ihre lange Beziehung mit Jawlensky, den sie zu Anfang ausbildete und mit ihren finanziellen Mitteln förderte. Ihre eigene künstlerische Arbeit unterbrach sie deshalb über 10 Jahre. Jawlensky solle nicht auf ihre Kunst eifersüchtig sein. Sie heiratete ihn nicht, stufte ihn als “Schürzenjäger“ ein. Ihr Dienstmädchen bekam später ein Kind von ihm.
Während einer gemeinsamen Frankreichreise begann sie wieder zu malen und entwickelte sich nach den Anfängen zu einer expressionistischen Künstlerin, bevor Jawlensky und Kandinsky ihre ersten expressionistischen Werke malten. Sie griff zahlreiche Anregungen auf, die flächige Malweise Gauguins, das Plakative von Toulouse-Lautrec und einige andere. Auch Munch inspirierte sie.
Werefkin war an der Gründung der »Neuen Künstlervereinigung München« beteiligt und war nach einiger Zeit Mitglied der »Neuen Secession« in Berlin, später des »Blauen Reiters«. Sie beabsichtigte sich von Jawlensky zu trennen, was sie 1924 tat, woraufhin Jawlensky die Mutter seines Sohnes heiratete.

In der Schweiz nahm sie zunächst zögernd ihre künstlerische Tätigkeit auf und fertigte unter anderem zahlreiche Bilder im japanischen Stil an, beeinflusst zunächst von Van Gogh und Gauguin, sowie durch James McNeill Whistler, einem Amerikaner, der eine Zeit lang in Russland lebte. Sie lernte die Gruppe »Nabis« (hebräisch: Prophet) kennen, die für ihre Materialvielfalt bekannt war und die den Stil der japanischen Holzschnittkunst in ihr Repertoire aufgenommen hatte. In dieser Phase entstanden Bilder wie „Herbst (Schule)“, an dem man den Einfluss gut erkennen kann. Kennzeichen sind die abgeschnittenen Baumkronen, wodurch die streng senkrechte Komposition das Bild strukturiert und den Weg mit den Schülern überschneidet. Die Personen wiederholen im Kleinen die senkrechte Form.
Der Lumpensammler weist zum einen expressionistische Ausdrucksformen auf, andererseits wird die Dramatik der Farben, sowie die ärmliche Figur als eine Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen interpretiert. Und nicht zuletzt verweist die Schirn Kunsthalle auf ihre persönliche Lebenskrise:
„Ich habe die Hölle in meiner Seele. Ich habe mir selbst nicht vertraut, und deshalb ist mein Leben zum Teufel gegangen. Ich habe eine schöpferische Seele und bin dem Nichtstun verfallen. [… Ich bin zur Hure geworden und zur Küchenmagd, zur Krankenpflegerin und Gouvernante, nur um der großen Kunst zu dienen, einem Talent, das ich für auserwählt hielt, das neue Werk zu verwirklichen. Was habe ich aus mir gemacht?„
Nun ist hier sehr viel Biographie hereingekommen, aber Marianne von Werefkin hatte sich voll und ganz ihrem Partner untergeordnet, obwohl ihre künstlerische Kraft ungebrochen war. Künstler müssen vermutlich eine starke Individualität haben. Sie fügen sich nicht einfach in vorhandene Systeme ein und offensichtlich gehen Männer dabei sehr zielstrebig oder auch rücksichtslos vor. Konkurrenten werden bisweilen mit künstlerischen Methoden bekämpft, wie man es bei Turner gut sehen konnte. Frauen ziehen sich vielleicht auch durch gelernte Rollenmuster auf eine untergeordnete, unterstützende Rolle zurück. Bei Gabriele Münter und Kandinsky sah man die gleiche Verteilung. Ich schildere das hier so ausführlich, weil es eben so war, weil Jawlensky nur durch Werefkin zu Erfolg gekommen war, zwischenzeitlich mit dem Dienstmädchen ein Kind zeugte und nicht zuletzt, weil ich allein aus der Anzahl weiblicher Künstler im heutigen Kunstgeschäft höchstens einen kleinen Unterschied zu unserer Zeit sehe.
Paula Modersohn-Becker (1879–1907) wird zu den deutschen Expressionisten gezählt, was mir beim Anblick ihrer Bilder jedoch nicht einleuchtet. Weder hat sie mit ihren Werken provoziert, wie die Brückemaler, noch sind bei ihr die poetische, die farbliche und formale Gestaltung des Blauen Reiters zu finden. An anderer Stelle wird sie Vorreiterin, bzw. Pionierin des Expressionismus genannt. Auch dies scheint mir nicht korrekt. Vorreiter kann nur jemand sein, dessen Vorreiterrolle auch bekannt und anerkannt ist. Paula Modersohn-Becker, war jedoch sehr zurückhaltend, sie zeigte ihre Bilder nicht gerne in der Öffentlichkeit und verkauft Zeit ihres Lebens nur ca. 5 Bilder. Allerdings weisen ihre Arbeiten zahlreiche Einflüsse auf, die auch die Expressionisten verarbeiteten.

Ihr Elternhaus unterstützte ihr Kunstschaffen, sie belegte zahlreiche Zeichenkurse, u.a. eine Damenklasse bei den Berliner Künstlerinnen, als Belohnung für ein ungeliebtes Lehrerinnenstudium. Ihre Freiheit und der Wert ihrer Werke wurde von ihrem Mann Otto Modersohn anerkannt und geschätzt. Sie war nicht auf Publikumserfolg angewiesen, lernte stattdessen dauerhaft auf sehr engagierte Weise ihr Handwerk bei zahlreichen Lehrern.
Sie reiste viel, schaute sich überall Kunstwerke an, von denen sie sich beeinflussen ließ. Besonders ist hier Paris zu nennen, wo sie sich mehrere Male länger aufhielt, im Wechsel zu ihren Aufenthalten in Worpswede, in Kontakt mit der dortigen Künstlerkolonie.
In Paris studierte sie zunächst die alten Meister, dann aber auch die Impressionisten, unter anderem Cézanne und Gauguin, sowie Matisse, der viele andere Expressionisten beeinflusst hatte, vermutlich auch Picasso. Gauguin praktizierte farblich einen Flächenstil, reduzierte also die räumlichen Merkmale, womit er sowohl den Expressionisten zum Vorbild wurde, als auch Modersohn-Becker. Wie von Werefkin orientierte sie sich auch an dem Stil der »Nabis«-Künstler, wie die beiden Bilder zeigen.

Das gewürfelten Kissen strukturiert die Bildfläche durch seine gschlossene Form, die Streifen auf dem Kleid setzen eine diagonale und senkrechte Struktur dagegen, das Gesicht ist reduziert dargestellt. Wie die Expressionisten thematisieren ihre Bilder die Einheit des Menschen, hier besonders der Kinder, mit der Natur. Das Bild »Flöte blasendes Mädchen im Birkenwald« verbindet die Naturnähe des Kindes mit einer strengen vertikalen Struktur. Die horizontale Flöte, sowie die geschnittenen Baumkronen sind Elemente des japanischen Holzschnitts, wie ihn die »Nabis« Gruppe auf europäischem Boden präsentiert hat.
Neben den vielen Kinderbilden malte sie zahlreiche Stillleben, die mich an Cézanne erinnern, mit ihrem weitgehenden flächigen Farbauftrag aber auch den Einfluss Gauguins erkennen lassen. Die Objekte werden oft dunkel umrandet, wie bei Jawlensky, aber dezenter. Diese Konturen verstärken den Kontrast der oft eingesetzten Komplementärfarben und machen in Kombination mit diesen Farben und der Anordnung der Figuren und Gegenstände auf den Bildern ein typisches Kennzeichen ihrer Arbeiten aus.

Paula Modersohn-Becker hat in vielerlei Hinsicht die gleichen gestalterischen Konsequenzen gezogen, wie die Expressionisten, allerdings ohne den unterstützenden Einfluss einer Gruppe. Zuspruch erhielt sie von ihrem Mann, der jedoch auch Kritiken anmerkte, sowie von dem langjährigen Freund Rainer Maria Rilke und seiner Frau. Rilke schätzte sie sehr als Mensch, nahm ihre künstlerische Leistung aber erst sehr spät zur Kenntnis. Ihm verkaufte Modersohn-Becker ein Bild.
In Paris traf sie auf den Bildhauer Bernhard Hoetger, der darauf bestand, das sie ihm ihre Bilder zeigte. Hoetger war begeistert und brachte das auch zum Ausdruck. Dieses Lob von einem Künstler stärkte sie so sehr, dass sie in der Folge ungefähr 90 Bilder malte. Nicht auszudenken, wie sie von einer Gruppe ähnlich arbeitende Künstler aufgeblüht wäre, vorausgesetzt, sie hätte sich nicht auf die zeitgemäße weibliche Zurückhaltung beschränkt. Solche Möglichkeiten sind leider nur Spekulationen. Was man weiß ist jedoch, dass sie mit großem Eifer und Ehrgeiz ständig an der Weiterentwicklung ihrer Kunst arbeitete und vieles andere zurückstellte. So arbeitete sie nach einem präzisen Zeitplan, um gleichzeitig ihre Rolle in der Ehe nicht zu vernachlässigen, sich der Erziehung ihrer Stieftochter zu widmen und zu malen. Sie trennte sich sogar zwischenzeitlich von ihrem Mann, um sich freier entfalten zu können. Allerdings erkannte sie, dass sie ihren Mann an ihrer Seite wollte und bat ihn, zu ihr nach Paris zu kommen.
Eine Pionierin ist Modersohn-Becker allerdings doch, sie war die erste Frau, die weibliche Akte und Halbakte gemalt hat, viele davon auch mit Kind. Der Halbakt zu ihrem 6. Hochzeitstag war das erste dieser Reihe, Farbe und Form sind zurückgenommen, ein expressionistisches Mittel der Reduzierung, aber deutlich von den kräftigen Farben und den kantigen Formen des Expressionismus unterschieden. Das ersehnte eigene Kind wurde ihr wurde ihr schließlich auf tragische Weise gewährt. Sie verstarb wenige Wochen nach der Geburt an einer Embolie.
