
Dieses bekannte Bild von Magritte mit dem übersetzten Titel »Der Verrat der Bilder« ist eines von vielen seiner Bilder, in denen auch geschriebene Texte zu sehen sind. Der erste Lösungsansatz ist hier recht einfach: natürlich ist das keine Pfeife, man kann sie nicht rauchen, es ist nur das Bild einer Pfeife. Nun bezieht sich der Titel eines Bildes nicht nur auf einen Teil, also hier die Pfeife, sondern auf das ganze Bild, also gemalte Pfeife plus Text. Diese Kombination wäre dann auch ein Verrat, denn „Bilder“ ist allgemein und meint auch dieses. Ich möchte den Zirkel für mögliche Gedanken erweitern und komme zu Ben (Vautier), dessen Bilder Worte enthalten, meist weiß auf schwarz. Darunter eines, dass eine ähnliche Aussage enthält, wie das von Magritte.

Ein sich selbst widersprechender Satz? Nun, er ist weder gesprochen, noch geschrieben.
Wen man Bens Bildern unvorbereitet, vielleicht zum ersten Mal, begegnet, liest man, was er geschrieben hat. Auch später noch oft. Allerdings hat er nichts geschrieben. Er hat gemalt, Buchstaben und Wörter, weiß auf schwarz. Wer über Geschriebenes spricht, sagt „schwarz auf weiß“. Aber es sind doch Worte? Oder Wörter? Ben hat sich in der Lücke zwischen Sprache und Bild angesiedelt. Er malt Wörter, um deren Wortsinn man nicht herumkommt, der aber oft rätselhaft bleibt, manchmal auch provokativ ist, oder wie hier, auf den ersten Blick widersprüchlich. So ist nicht nur seine gemalte Schrift ein Spiel mit zwei Medien, auch die Inhalte sind nicht eindeutig einem Sinn zuzuordnen.
Magritte wiederum erläutert auch dieses Phänomen. Es gibt eine ganze Reihe von Bildern von ihm, bei denen Gegenstände abgebildet sind und unerwartete Namen darunter stehen. Ein Beispiel « La clef ses songes » (Der Schlüssel der Träume) von 1930, auf dem sechs Gegenstände zu sehen sind. Zum Beispiel ein Hammer unter dem „Désert“ (Wüste) steht. Humor zeigt die Kombination eines Wasserglases mit dem Wort „Sturm“.
http://www.toutceciestmagnifique.com/2010/11/la-clef-des-songes.html
Hier zeigen darf ich nur ein anderes Dokument, sogar in deutscher Übersetzung, das den Eindruck eines Wörterbucheintrages macht und unter der Überschrift »Die Wörter und die Bilder« aus « La Révolution surréaliste », Nr. vom 12, 15 Dezember 1929.

Der Eintrag unter 1, auf dem ein Blatt mit der Unterschrift „Kanone“ zu sehen ist, enthält den Grundgedanken: „Ein Gegenstand hängt nicht so sehr an seinem Namen, dass man für ihn nicht einen anderen finden könnte […]“
Über einem Briefwechsel mit dem französischen Philosophen Michel Foucault anlässlich seines Buches »Die Ordnung der Dinge« schreibt Peter Greiner: „Wie Foucault, so war auch Magritte der Ansicht, dass zwischen den Dingen und den Zeichen, die sie repräsentieren, eine unüberbrückbare Kluft bestehe. Im Gegensatz zu Foucault sah Magritte seine Bilder aber nicht als Darstellung dieser Leere, sondern als einen Versuch, die gewohnten Denkstrukturen mit Hilfe der Malerei zu durchbrechen und das «Mysterium» der Realität im Bild wenigstens blitzhaft aufscheinen zu lassen.“ Peter Geimer in: NZZ vom 16.11.2006)
Die willkürliche Zuordnung der Wörter zu den Dingen verweist auf den französischen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure, der schrieb, dass die Verbindung eines sprachlichen Zeichens zu seinem Inhalt völlig zufällig sei. Nach seiner Auffassung verweist ein solches Zeichen nicht auf einen Gegenstand, sondern auf die Vorstellung, die man von einem Gegenstand hat, auf einen Begriff. So bleibt seine Theorie, anders als bei englischsprachigen Linguisten, innerhalb der Sprache. Die sprachlichen Zeichen, wie wie sie Pierce und seine anglophonenen Nachfolger auffassen, beziehen sich auf einen »Referenten« in der Realität, einen Gegenstand also, der sich außerhalb des Sprachsystems befindet. Die künstlerische Umsetzung von Saussures Gedankens sehen wir bei Magritte. Die zufällige Verbindung muss aber vereinbart sein, sonst gibt es kein gemeinsames Verständnis.
Diese strukturalistische Vorgehensweise findet sich auch in anderen Disziplinen, z.B. in der Psychologie. Dort hat der Psychoanalytiker Jacques Lacan eine verbindliche Ordnung, wie die Sprache mit dem Namen « Nom du père » belegt, dem Namen des Vaters. Diese Bezeichnung wurde nicht willkürlich gewählt, denn gesprochen lautet das « Nom » genauso wie « Non », also »Nein«. Das Verbot, aus der Ordnung auszuscheren ist eine Verlängerung des Freud’schen Konzeptes vom „Über-Ich“. Die Notwendigkeit einer verbindlichen Ordnung ist nachvollziehbar, denn was soll eine Sprache, die nur der Sprecher versteht.
Allerdings gibt es diese Ausbrüche aus der Verbindlichkeit, bei denen die Sprache Bilder zulässt und schafft, z.B. in der Lyrik. Sprachliche Bilder gibt es mehrfach, z.B. Metaphern oder geflügelte Worte und sie werden auch verstanden. Allerdings nicht von jedem. Die Sprache selbst beinhaltet damit die Möglichkeit, über ihre engen Grenzen der allgemeinen Kommunizierbarkeit hinauszugehen und indiviiduell oder auch künstlerisch zu werden.
Auch der französische Dichter Guillaume Apollinaire hat in seinem Buch « Calligrames » Texte und Bilder miteinander verbunden, indem er Texte zu Bildern machte. Bei dem Gedicht »Es regnet« hat er beispielsweise die Buchstaben senkrecht und schräg von oben nach unten angeordnet, so dass sie fallenden Regentropfen gleichen. Auch wenn so die vorgeschriebene Ordnung der Sprache verlassen wird, ist dieses Buchstabenbild doch jedem verständlich, der Regen kennt. Text und sinnliche Wahrnehmung bilden eine Einheit außerhalb der sprachlichen Ordnung. Ein »Doch« als Antwort auf das »Nein«.

Sprache in Bildern ist die künstlerische Antwort auf Bilder in der Sprache. Die Bedeutungen der sprachlichen Zeichen sind vereinbart, jeder beherrscht sie, aber es können auch andere Vereinbarungen getroffen werden. Der Schriftsteller Stendhal hatte bei der Widmung seines Buches »Rot und Schwarz« „To he happy view“ vielleicht eben daran gedacht und für die wenigen Glücklichen (die das verstehen) geschrieben.
Nachdem Magritte und Saussure die Sachlage geklärt haben, kann der Satz von Ben besser verstanden werden. Der Satz stimmt dann, wenn man den Artikel hervorhebt »Die Wahrheit« gibt es nicht, stattdessen gibt es mehrere Wahrheiten, alles mit dem Anspruch auf eine allgemein gültige Wahrheit ist eine Lüge.
Das wird manchen zu weit gehen, doch gibt es eine ganze Menge von für wahr gehaltenen Inhalten, die wiederum andere anders sehen. Die Kunst sagt nicht, dies ist wahr und jenes nicht, sie sagt, es gibt für verschiedene Menschen verschiedene Wahrheiten. Man braucht »Wahrheit« nur durch »Meinung« ersetzen, um es akzeptieren zu können.
Noch einmal zurück zu Ben. Er hat an der Place Fréhel in Paris eine Installation an einer Hauswand geschaffen, auf denen man Figuren von zwei Männern sieht, die eine große Plakattafel aufhängen. In dem festgehaltenen Moment hängt die Tafel noch gefährlich schief, die obere Figur ist nicht gesichert. „Man muss Worten misstrauen“ ist übersettzt mit der für Ben typischen Schreib-/Malweise zu sehen. Das mag sich oberflächlich auf die Tafel beziehen, die die Arbeiter unter Gefahr anbringen wollen.
Die sprachliche Ordnung jedoch ist es ist es, die mit Grammatik und Vokabular eine verbindliche Ordnung regelt und trotzdem Lügen ermöglicht. Wie soll man da vertrauen? Regen aber, zum Beispiel, kann nicht lügen. Unhinterfragt wir man einfach nass.

Eine Ausstellung von Bens Bildern kann man ab dem 26. März in dem Ausstellungshaus von Daniel Spoerri in Hadersdorf bei Wien sehen. Es gibt ein Katalogheft, zu dem ich diesen Text in Auszügen beigesteuert habe.

gerne, mit Interesse gelesen – so klar und differenziert in der Komposition von Bild & Text – als Zusammenstellung und Zusammenfassung quasi gesetzt, wie dies Kalligramm von Guillaume_Apollinaire_-_Calligramme_-_Il_pleut.png. Diese parallel herabfliessenden und zufallenden Buchstabenreihen, die vertikal auf die Betrachtenden als Zeichen zuströmen. Die nur die verstehen, welche lesen können und sich der Sprache_n bedienen, auch wenn sie diese insgesamt als Sprachsystem:e kaum bis gar nicht oder nur dem Ansatz nach verstehen: »Die willkürliche Zuordnung der Wörter zu den Dingen verweist auf den französischen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure, der schrieb, dass die Verbindung eines sprachlichen Zeichens zu seinem Inhalt völlig zufällig sei. Nach seiner Auffassung verweist ein solches Zeichen nicht auf einen Gegenstand, sondern auf die Vorstellung, die man von einem Gegenstand hat, auf einen Begriff. So bleibt seine Theorie, anders als bei englischsprachigen Linguisten, innerhalb der Sprache. Die sprachlichen Zeichen, wie wie sie Pierce und seine anglophonenen Nachfolger auffassen, beziehen sich auf einen »Referenten« in der Realität, einen Gegenstand also, der sich außerhalb des Sprachsystems befindet. Die künstlerische Umsetzung von Saussures Gedankens sehen wir bei Magritte. Die zufällige Verbindung muss aber vereinbart sein, sonst gibt es kein gemeinsames Verständnis.» // Die Verweise zur Psychologie und Psychoanalyse Lacan/Freund sind strukturalistisch fein hingesetzt, so »daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus« noch über seine Fassade oder gar die Witterung ist (unhinterfragt erliegt man ihr = nass). 15 Meter hoch prangten die Worte an der Hauswand der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf: „avenidas/ avenidas y flores/ flores/ flores y mujeres/ avenidas/ avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/ un admirador“ („Alleen/ Alleen und Blumen/ Blumen/ Blumen und Frauen/ Alleen/ Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen und/ ein Bewunderer“). Die Lyrik, wo es diese Ausbrüche aus der Verbindlichkeit (der Struktur und dem System der Sprache) gibt, bei denen die Sprache Bilder zulässt und schafft. Um so raffinierter finde ich es diesen Text mit dieser Fotografie zu Ben (Vautier), Dreidimensionales Werk bestehend aus einer großen Tafel und den Figuren von zwei Arbeitern. Bild: Cadaverexquisito, via Wikimedia. (CC BY-SA 4.0) zu beenden: ein «Gemälde schwarz auf weiss» wird an einer Wand aufgehängt: öffentlich sichtbar für alle, die es wahrnehmen möchten
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Auch ich liebe das Spiel mit Wort und Bild und bin fasziniert zum Einen, was die Absicht des Autors betrifft und noch viel mehr zum Anderen, welche Eindrücke und Wirkungen es beim Betrachter auslöst. Bin ich Autor egal ob in Wort oder / und Bild, beachte ich erst einmal nur meine Absicht: Was will ich ausdrücken. Bewusst interessiert es mich nicht, welche Auswirkungen mein Werk haben wird. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass genannte Künstler sich vielleicht auch nicht in die Perspektive des späteren Betrachters hineinversetzt haben müssen um ihre Bilder in die Welt zu setzten. Einem Spiel gleich haben diese einen verborgenen Sinn, uns sind die Regeln zum Entstehungszeitpunkt nicht bekannt, wir können nur interpretieren. Logiken erschließen und so weiter. Ein Spiel auf der anderen Seite. Außer wir haben ein Statement von den Künstlern, aber würde es nicht alles entzaubern? Die ganze Freiheit des Denkens? LG Doro
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