Goya II

Drucke

Die Veränderung von Goyas Arbeitsweise drückte sich am deutlichsten in seiner Hinwendung zur Drucktechnik aus. Der kritische Künstler, der er schon bei dem Portrait der Familie Kar IV. war, fand hier eine erweiterte Ausdrucksmöglichkeit. Es gelang ihm, drastisch Kritik zu üben und zugleich den wahren Inhalt weitestgehend zu verschleiern. Er fertigte eine Serie von Drucken mit dem verharmlosenden Namen »Caprichos« (Launen) an. Abgesehen von dem inhaltlichen Interesse an diesen Werken versuchte er die Drucke eigenständig zu vermarkten und sich vom Königshaus unabhängig zu machen.

Die Caprichos waren teilweise voll bissiger Satire. Esel wurden z. B. öfter abgebildet, so zeigt ein Capricho zwei gebeugte Bauern, die je einen Esel tragen mit dem Titel: “Du, der du nicht“. Es ist der Anfang eines spanischen Sprichworts „Du, der du nicht kannst, trage mich auf deinen Schultern“ Esel sind bei Goya in den Caprichos Symbole für Adlige. Das Lasttier Esel wird selbst durch Ausbeutung und Dekadenz zur Last auf dem Rücken der unteren Stände.

Ein anderer Druck mit dem Titel »So wie sein Großvater« zeigt einen Esel in schülerhafter Manier sitzend mit einem Buch, in dem lauter Esel abgebildet sind. Eine Satire auf den Stolz des Adels auf seine Stammbäume, mit dem Hintergedanken, dass neben den Titeln auch die Dummheit vererbt wird.

Anhand dieser beiden Drucke zeigt sich Goyas technisches Können. Er kombiniert die Drucktechnik Aquatinta, bei der die Druckplatte mit einer säurefesten Schicht abgedeckt wird und die zu druckenden Partien, dann wieder freigelegt werden. Dieser Vorgang lässt sich öfter wiederholen, so dass die der Reihe nach abgedeckten Flächen immer dunkler werden und der Druck Aquarellcharakter bekommt. Capricho Nr. 39 ist eins von zweien dieser Serie, die nur mit der Aquatinta-Technik gedruckt wurden. Die Neuerung, die Goya eingeführt hat, wird auf dem anderen Capricho deutlich. Zusätzlich zur Aquatinta hat er mit der Radiernadel gearbeitet, so dass klare Linien und Strukturen entstanden sind.

Neben dem Adel hatte es Goya auch auf die Kirche und den Klerus abgesehen. Auf dem Capricho Nr. 79 »Niemand hat uns gesehen« sieht man Mönche, beim heimlichen klösterlichen Treiben. In diesem Bild persifliert Goya die Laster der religiösen Orden, die das Erbe der bewussten Verdummung und der daraus resultierenden Unwissenheit in der spanischen Gesellschaft sind. Wenn Goya Mönche malt, schwächen Faulheit, Unwissenheit und die daraus resultierenden Leidenschaften alle ihre Züge. Die Gier veranlasst diesen alten Mönch, die Augen zu schließen, während sich die Lippen leckt, ein exquisites Getränk kostet und trinkt und dabei sagt, während er das Glas berührt: „Niemand hat uns gesehen“. Auf dem vorangegangenen Capricho Nr. 78 »Beeil dich, bevor sie aufwachen« wird nach einem Gelage aufgeräumt, bevor die Spuren entdeckt werden.

Dramatischer ist Capricho Nr. 24 »Es gibt keine Hilfe«, Eine Frau wird auf einem Esel sitzend öffentlich zur Schau gestellt. Mit einem eisernen Halsband und einer Stange daran wird der Kopf nach oben gedrückt damit sie nicht zusammensacken kann. Die Brust ist zur Erniedrigung entblößt, auf dem Kopf trägt sie den spitzen Hut der Schande, mit dem die Opfer der Inquisition auf dem Weg zur Hinrichtung gekennzeichnet wurden. Dies ist eins von nur zwei Caprichos, die die Inquisition direkt zum Inhalt haben, so dass auch die Serie der Caprichos neben der nackten Maja Gründe für die Inquisition lieferten, Goya vorzuladen. Neben der Inquisition wurde hier auch die Leidenschaft einer entmenschlichten Masse thematisiert.

Goya widmete seine scharfe Beobachtungsgabe und seine kritischen Darstellungen aber auch privateren Phänomenen. Auf Capricho Nr. 19, »Alle werden fallen« hockt ein Wesen mit dem Oberkörper einer attraktiven Frau und dem Unterleib eines Vogels auf einem Baum. Andere gefiederte Wesen mit den Köpfen von Männern kommen angeflogen und umschwirren sie, während unten zwei Frauen dabei sind, einen weiteren Vogelmann aufgespießt zu rupfen.

Francisco de Goya, Capricho Nr. 19, Alle werden fallen, 1799, Rijksmuseum Amsterdam. (OA)

Capricho Nr. 75 zeigt eine Frau und einen Mann, die mit dem Rücken zueinander an einen Baum gefesselt sind, mit den Oberkörpern aber in verschiedene Richtungen streben. Über ihnen ein beängstigender großer Vogel. Hier wird wohl das Drama einer Zwangsehe geschildert, aus der sich die Beteiligten nicht lösen können und dürfen. Der Titel lautet »Kann uns niemand losmachen«. Das Eulenungeheuer kann einmal für die Kirche mit ihren strengen Vorschriften stehen, andererseits aber auch für tradierten Gewohnheiten, die auf menschliche Wünsche keine Rücksicht nehmen.

Ungeheuer sind das Thema des bekanntesten Blattes aus dieser Serie. Es trägt den Titel: »El sueño de la razón produce monstruos«, der einzige Druck, auf dem der Titel im Bild selber zu sehen ist. Er seht auf einen würfelförmigen Gegenstand neben dem ein Mann sitzt, die Arme liegen als Polster für den darauf abgelegten Kopf. Ist er müde oder niedergeschlagen? Er wird umschwirrt von einer Gruppe Vögel, die im Titel als Ungeheuer bezeichnet werden, eine große Katze liegt im Hintergrund auf der Erde. Dieser Capricho Nr. 43 sollte ursprünglich als Titel für das gesamte Caprichowerk dienen, Goya tauschte ihn dann aber durch ein Selbstportrait aus.

Francisco de Goya, Capricho № 43: El sueño de la razón produce monstruos. Rijksmuseum, Amsterdam. (OA)

Bekannt ist er unter dem deutschen Titel »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«, eine eindeutige Mahnung, im Sinne der Aufklärung Vernunft bei Entscheidungen walten zu lassen und nicht etwa aus Machtinteressen oder wegen emotionalen Auslösern. Der Begriff El sueño hat aber noch eine weitre Bedeutung, weshalb der Titel oben auf Spanisch belassen wurde. Der Capricho hieße damit »Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer«, was eine kritische Distanzierung von der Kraft der menschlichen Vernunft zum Ausdruck bringt. Der Mensch glaubt alles verstehen und alles richtig machen zu können, wenn er nur zu dem Mittel der Vernunft greift. Da diese aber von Menschen gemacht ist, kann auch sie mit Fehlern behaftet sein und selbst vernünftiges Handeln kann zu ungeheuerlichen Folgen führen. Viele Kunsthistoriker und Interpreten sind der Meinung, dass einem so scharfsinnigen Künstler wie Goya die Doppeldeutigkeit nicht entgangen sein kann, dass er sie sogar bewusst für den Titel gewählt hat.

Die Serie der Caprichos besteht aus 80 Blättern, die Goya mit einer Auflage von 270 Stück druckte. Allerdings hatte er sie bereits nach dem Verkauf von 27 aus dem Handel gezogen. Er fürchtete wohl, dass seine kritischen Satiren nicht ganz so versteckt waren und er Schwierigkeiten bekommen könnte. Die Druckplatten und die verbliebenen Drucke übergab er dem König Karl IV, der ihm dafür eine Pension für seinen Sohn versprach. Erst nach fast 50 Jahren wurden neue Serien abgezogen.

Seine zweite Druckserie waren die »Desastres de la Guerra«, die zwischen 1810 und 1814 entstanden sind. Die politische Situation war in Europa durch Kontroversen der verschiedensten Teilnehmer ins Ungleichgewicht geraten, woraus zahlreiche Konflikte entstanden, die hier im Einzelnen nicht referiert werden können. Napoleon rückte mit seinen Truppen nach Spanien ein, wogegen sich Spanien mit dem Unabhängigkeitskrieg wehrte. Goya zeigte in der Druckserie mit dem deutschen Namen Schrecken des Krieges schonungslos und drastisch die grausamsten Szenen.

Goya wäre nicht der Künstler, als den wir ihn hier bisher kennengelernt haben, wenn er sich nicht kritisch mit den Geschehnissen auseinandergesetzt hätte und stattdessen wie viele seiner Zeitgenossen patriotische und verherrlichende Werke geschaffen hätte. Goyas Darstellungen aber setzen den Menschen mitten im Grauen des Krieges mit Gewalt und Tod ins Bild.

Für einen Eindruck habe ich Tafeln 38 und 44 ausgewählt, eine immer noch schreckliche Erschießungsszene, aber ohne die grausamen Details vieler anderer Tafeln. Die in Tafel 38 eingesetzte Aquatinta unterstützt die Dramatik, die einerseits durch die übertriebene Nähe der Schießenden zu ihrem Opfer entsteht, noch mehr aber die teilnahmslose Beobachtung der französischen Soldaten in der Mitte des Bildes. Sie wird als Aufforderung an den Betrachter verstanden, an solchen Geschehnissen eben nicht teilnahmslos zu bleiben. Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln schreibt in einem Kommentar, dass Goya von seinem Diener gefragt wurde, warum er diese Barbaren darstellte, worauf er antwortete, um die Menschen zu ermahnen, nie mehr Barbaren zu sein. Goyas moralische Einstellung zu den Grausamkeiten des Krieges wurde von denjenigen kritisiert, die den Befreiungskrieg gegen die Franzosen als Akt der Vernunft im gerechten Kampf um die Unabhängigkeit verstanden. Goya zeigt jedoch, dass im Verlauf der Kriegshandlungen Grausamkeiten auf beiden Seiten zur Gewohnheit geworden sind und der Hass universell geworden ist. Offensichtlich zeigt sich, dass sich seit Goyas Zeiten daran nichts geändert hat.

Die andere Tafel zeigt die fliehende Bevölkerung vor den gegnerischen Truppen. Die Flucht erhöhte die Chancen des Überlebens, weil die Besetzer die zurückgelassenen Vorräte brauchten und die Menschen nicht weiter verfolgten. In dieser Serie arbeitet Goya häufig nur mit Radierungen, wie auf Tafel 44, so dass er die Figuren vor fast leeren Hintergründen heraushebt. Im Titel bezeugt Goya seine Anwesenheit als Augenzeuge, was sonst nur noch auf einem anderen Blatt der Fall ist. Auf dieser Tafel stellt Goya, wie sonst auch schon einige Male, eine Frau in einer vorbildlichen Haltung dar, indem sie sich aus der fliehenden Bewegung nach links, dem rechten Kind zuwendet, das vielleicht nicht von seinem Zuhause weg will, während sie ein zweites Kind auf dem Arm hält. In inhaltlichem und formalem Gegensatz dazu fliehen die dunkel gehaltenen Notablen, ein Mann der Kirche mit einem Geldsack in der Hand und ein Grundbesitzer oder Bürgermeister nach links offensichtlich als erste vor den französischen Truppen und lassen die Menschen schutzlos zurück.
Diese Grafiken wurden erst nach Goyas Tod veröffentlicht.

Ich möchte jedem selbst überlassen, ob er oder sie sich diesen Anblicken aussetzen möchte und füge hier nur noch einige Links ein.

https://www.museodelprado.es/coleccion/artista/goya-y-lucientes-francisco-de/39568a17-81b5-4d6f-84fa-12db60780812?searchMeta=goya
https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/duro-es-el-paso/5800046b-6350-42e8-93c5-0a3d1e5e7ff6?searchid=61a387a4-5977-0065-bedf-d2b5e0a7f786https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/que-hay-que-hacer-mas/2acd3433-765d-496f-be74-770fe7f3a428?searchid=e598ef72-0721-5a64-82ea-2d4f174cabc1
https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/grande-hazaa-con-muertos/e6c4cf89-f69c-4a8d-925c-d23ed6d0f28e?searchid=61a387a4-5977-0065-bedf-d2b5e0a7f786

Das spanische Königshaus durchlief einige tiefgreifende Veränderungen. König Karl IV. floh wegen einer Intrige seines vermeindlichen Sohnes Ferdinand nach Aranjuez, worauf hin Ferdinand zunächst zum König gekrönt wurde, bis Napoleon ihn zwang, auf den Thron zu verzichten. Er setzte ihn aber 1813 aufgrund seiner zwischenzeitlichen Niederlagen als König Ferdinand VII. wieder ein. Dieser setzte einen extremen Absolutismus um, führte die Inquisition wieder ein, die Napoleon zuvor abgeschafft hatte. Während dieser Zeit wurde Goya von der Inquisition vorgeladen und angeblich mit der Hilfe des Königs ungeschoren entlassen.

Eine dritte Serie schuf Goya 1815 und 1816, die »Tauromaquia«, Radierungen, die Stierkämpfe zum Thema hatten und von denen Goya sich versprach, den Publikumsgeschmack zu treffen, was aber wohl wieder misslang. Die Drucke zeigen Szenen von real stattgefundenen Stierkämpfen. Nach dem Fangen von Stieren stellte er reale Kampfszenen dar, von denen einige ausgesprochen spektakulär waren. Ein Torero wartete sitzend auf einem Stuhl mit gefesselten Füßen auf den Stier, eine reale Situation des Toreros Temeridad von Martincho.
https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/temeridad-de-martincho-en-la-plaza-de-zaragoza/3cf31fcd-9529-4020-8cb6-511c336cc828

Einen weiteren waghalsigen Stierkämpfer sieht man auf der Abbildung, während er mittels einer Stange über den Stier springt. In diesen Situationen, die ja immer mit dem Tod endeten, war nicht immer den Stier der Verlierer. So auf dem letzten Druck, »Der unglückliche Tod des Stierkämpfers Pepe Illo auf der Plaza de Madrid«.

Eine andere Radierung zeigt einen Stier, der über die Absperrung gesprungen ist und den Bürgermeister von Bürgermeister von Torrejón de Ardozmit den Hörnern aufspießt, ein weiters Todesopfer liegt links auf dem Zuschauerrang.

1819 zog sich Goya auf seinen Landsitz zurück, wo er sein Spätwerk schuf, unter anderem seine letzte Grafikserie. Er ließ sich 1824 in Bordeaux nieder, um nicht wegen seinen kritischen Arbeiten verfolgt zu werden. Die letzte Serie, die nicht von Goya betitelt wurde, wird als »Disparates« (Torheiten) präsentiert, hieß aber auch schon »Sprichwörter« oder »Träume«. Einigkeit besteht nicht unter den Gelehrten und Interpreten, aber es gibt Aussagen, die in den Arbeiten eine Nähe zum Karneval sehen, denn „eines der Merkmale des Karnevals [ist] die Subversion von allem […], was Autorität repräsentiert. Institutionen wie die Ehe, die Armee und den Klerus. In fast allen Los Disparates wird gezeigt, wie die Repräsentation von Macht gestürzt, gedemütigt, ignoriert oder lächerlich gemacht wird.“ (Wikipedia Englisch) Da bei dieser Serie kein Zusammenhang herstellbar ist, zumal Goya die Drucke ungeordnet zurückließ, als er nach Bordeaux auswanderte, zeige ich einen Druck, mit einer ungeordneten Menschenmenge, einige als Katzen verkleidet. Von hinten nähert sich links jemand, der an Napoleon erinnern könnte. Der Druck wird als Szene gesehen, in der verkleidete Menschen die Obrigkeit verhöhnen. Nur ein offensichtlich lesender alter Mann, der sich sehr hell vor dem dunklen Hintergrundabhebt, scheint mit dem Geschehen nichts zu tun zu haben.
Während seines Aufenthaltes auf seinem Landsitz entstanden dort auch seine dunklen Wandgemälde.

Francisco de Goya, Disparates (Unsinn?) Tafel 9, Disparate general, 1815-1819, Museo del Prado, Madrid.

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