Stille Moderne

Während meinem Schreiben über Max Beckmann wurde deutlich, dass er zu einer Zeit, während sich der dominante Stil des Expressionismus entwickelte unter denselben äußeren Bedingungen eine ganz andere und nur für ihn typische Ausdrucksform fand. Dieses Phänomen trifft meiner Meinung nach auch auf andere Künstler zu, die z.B. außerhalb des dominanten französischen Impressionismus „modern“ gearbeitet haben.

Dazu lassen sich einige Beispiele finden, unter anderem drei deutsche Maler, deren bedeutendste Schaffensphasen in Italien stattfanden und die deshalb „Deutschrömer“ genannt wurden. Obwohl sie untereinander in Kontakt standen, waren ihre Stile grundverschieden.

Hans von Marées (1837 – 1887) ist heute der am wenigsten bekannte Maler von ihnen, setzte aber die Moderne deutlicher als die beiden andern in seinen Werken um, weitab von den Hauptströmungen in Frankreich. Allerdings hinderten ihn nach einem vielversprechenden Anfang zwei Dinge an einem nachhaltigen Durchbruch, auf die ich später eingehen werde.


Hans von Marées, Selbstportrait mit gelbem Hut, 1874, Bild: Gandalfs’s Gallery. Flickr. (CC BY-NC-SA 2

Er war ein sehr selbstbewusster Maler, was ihm in jungen Jahren wenig Sympathie einbrachte. Als Sechzehnjähriger studierte er bereits an der Akademie in Berlin, wo er aber nur ein Jahr geduldet wurde. Eine Lehre bei dem Maler Carl Steffek folgte, aber auch hier führten sein Mundwerk und seine Arroganz zu einem vorzeitigen Ende. Sein Biograf Julius Meier-Graefe, der in seinem dreibändigen Werk von 1909/1910 darüber berichtet, führte aber auch ein Beispiel an, bei dem sich Marées über die kompositorischen Bemühungen seiner Mitstudenten lustig machte, kurzerhand die Zeichenkohle nahm und in wenigen Strichen das Ergebnis zeichnete, nach dem der andere mühsam gesucht hatte. Er hielt das gelehrte Komponieren von Bildzusammenhängen für Unsinn und wollte nach der Natur malen. Nach seiner Militärzeit unterstütze ihn sein Vater noch für einen Aufenthalt in München, wo er bald Anschluss fand. Ein für damalige Verhältnisse außergewöhnliches Doppelportrait von ihm und Franz von Lenbach zeugt von Selbstbewusstsein und Können. Dermaßen eng beieinanderstehende Personen waren ungewöhnlich. Trotzdem gelang es Marées, den Eindruck von Enge zu vermeiden. Aus Übermut fügte er noch eine nachlässig gemalte (und überflüssige) Hand hinzu, vielleicht als Beleg, dass noch immer genug Platz auf dem Bild sei, wie der Kunsttheoretiker Konrad Fiedler mutmaßte. Auch die Anordnung von Hell hinter Dunkel entsprach nicht der akademischen Lehre, ebenso wenig, wie die geringen farblichen Gemeinsamkeiten bei den Personen, die sich nur auf die Farbe der Bärte beschränkte

Hans von Marées, Doppelbildnis Marées und Lenbach, 1863. Bayrische Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Schack, München. (CC BY-SA 4.0)

Marées portraitierte übrigens nie fremde Personen. Nach seinem Kunstverständnis kann das Allgemeine, das jeden Menschen ansprechen kann, nur aus dem Besonderen entstehen und das Besondere an den portraitierten Personen kannte er.

Eine Erweiterung sind Bilder mit Personen in Landschaften, Die »Rast der Diana« stammt aus demselben Jahr wie das Doppelportrait. Trotz der Diana ist es kein Historienbild, eine gegliederte Gruppe von Menschen und Tieren vor einem Wald mit verschwindenden Farben. Die Unsauberkeit seiner Palette und Pinsel, die Steffek noch bemängelte, schien ihm hier zufriedenstellende Dienste zu erweisen. Trotz der Qualitäten des Bildes, wirkt de Blick durch die Bäume auf den Hintergrund wie ein unpassendes Loch.

Hans von Marées, Rast der Diana, 1863, Neue Pinakothek, Sammlung Schack, München. (CC BY-SA 4.0)

Weiter entwickelt ist da das Bild »Die Schwemme, bei dem die Gruppierung von Menschen und Tieren noch konsequenter aufgelockert und so verteilt ist, dass der Blick im Zickzack nach hinten geleitet wird, wo der Durchblick auf den Himmel nicht mehr als Fremdkörper erscheint.

Hans von Marées, Die Schwemme, 1864, Sammlung Schack, München. (CC BY-SA 4.0)

Bei seinen Bildern wendet Marées immer häufiger Arbeitsweisen an, wie sie zum Beispiel auch bei Beckmann beobachtet wurden, indem er Räumlichkeit durch die Staffelung der Bildelemente erreicht und nicht, wie man an anderen Bildern sehen kann, durch Perspektive. Mit diesen fast unscheinbaren Verfahren gliedert er sich in das Bildverständnis der Moderne ein.

Thematisch sieht man sehr viele Nackte in der Natur, wobei er bei der Personendarstellung, wie sein Schüler Karl von Pidoll (Augsburg 1930) schreibt, von dem Verhältnis der Massen ausgeht, die ihn zu den Konturen führt und die wiederum zu Masse und Volumen. Wichtig ist ihm dabei die Stellung der Füße, wegen ihrer Verbindung zum Raum, sowie die Gelenke, die fast nie überschnitten werden, weil hier die Richtungsveränderungen stattfinden. Schließlich muss der Raum der optischen Realität entsprechen, deutlich in der Mitte, verschwommen zu den Rändern hin. Wie die Impressionisten behandelte er den Raum nicht als notwendigen Hintergrund, sondern, sondern orientierte sich an der Luft, wie die Impressionisten am Licht. (ebenfalls so formuliert von Pidoll). Er verstand Luft als zu malende Materie. Der so entstehende Raum mache daher „kein Loch in die Wand“.

An dem Kopf des Sitzenden auf dem ersten Bild erkennt man durch die aufgesprungene Dicke der Farbschicht häufige Übermalungen, deutlicher noch auf dem Ausschnitt aus dem »Lob der Bescheidenheit« von 1884 aus der Pinakothek. Die Umstände, mit denen er teilweise selbst sein Werk und damit seine Bedeutung sabotierte, kann man hier benennen. Zum einen experimentierte er sehr unglücklich mit seinen Malmitteln, in dem er Bitumen verwendete, sowie eine eigenwillige Mischung von Öl- und Temperafarben. Die Folge war, dass die Bilder im Laufe der Zeit immer dunkler und unansehnlicher wurden und Risse bekamen. Der zweite Umstand bestand meiner Meinung nach in der Tatsache, dass er in Konrad Fiedler einen lebenslangen Mäzen gefunden hatte, so dass er ohne Zeitdruck nach immer perfekteren Gestaltungen strebte und letztlich durch immer dickere Farbschichten die Bilder selber verdarb.

Einmal wurde er jedoch zu einer wesentlich schnelleren Arbeitsweise veranlasst. Er bekam den Auftrag in der zoologischen Station von Neapel mit dem Schwerpunkt Meeresbiologie ein Fresko auszuführen. Diese Arbeitsform war schon immer sein Ziel, jedoch konnte er sie nur ein einziges Mal umsetzen. Konrad Fiedler, der allerdings am Erfolg zweifelte, unterstützte ihn trotzdem auch hier. (Falls der Begriff unbekannt ist, bei Fresken wird die Farbe auf den noch feuchten Putz an der Wand aufgetragen, was zügiges Arbeiten verlangt.)

Marées fertigte in kurzer Zeit die Fresken an sämtlichen Wänden an. Sein Freund Adolf von Hildebrand gestaltete die Raumplastiken, die mit den Fresken eine gestalterische Einheit bildeten, was man Jahrzehnte später als „Gesamtkunstwerk“ bezeichnete. Dieses erste noch wenig schlagkräftige Indiz für die Einordnung Marées in die Epoche der Moderne wird gestützt aus der scheinbar nebensächlichen Tatsache, dass diese zoologische Station eine Errungenschaft der erst seit kurzem in den Fokus gerückten und damit modernen Naturwissenschaften war. Schließlich sind es die Arbeiten selber, die den Übergang aus der Vergangenheit zu neuen Ausdrucksformen zeigen. Das Fresko auf der Ostwand, »Die Pergola« zeigt mehrere Personen von einem perspektivisch wiedergegeben Gebäudekomplex. Allerdings folgen die Fluchtlinien nicht den Gesetzen der Perspektive, sie überschneiden sich nirgendwo in einem einzigen Fluchtpunkt. Die Eroberung des Raumes durch eine korrekte perspektivische Darstellung in der Renaissance wird der Fotografie überlassen. Die Impressionisten verzichten fast gänzlich auf diese Darstellungsform, ebenso, wie Marées, der räumliche Elemente hier hintereinander staffelt, wie später auch Beckmann.

Vor dem nur zweifarbigen Gebäudekomplex heben sich die Figuren farblich ab. Nur die zentral auf der Brüstung sitzende Frau ist vollständig von dem Hintergrund der Gebäude umgeben. Die Männergruppe ragt darüber hinaus, die Fischverkäuferin rechts wird vom Bildrand geschnitten. Der Raum gliedert sich unauffällig durch diese Elemente, zusammen mit den beiden Helligkeitsstufen der Gebäude. Modern sind diese Arbeiten auf eine unspektakuläre Weise, die sich nicht um bildnerische Konventionen schert, sondern auf Flächen Räume aus Formen und ihren Volumen entstehen lässt. Diese Gestaltungsweise zieht sich durch fast alle Bilder Marées. Die dargestellten Fischer an der Westwand tragen einerseits dem Meeresbezug der Station Rechnung, andererseits der Würdigung arbeitender Menschen in der Tradition des Realismus und der Schule von Barbizon, wobei Marées auch wieder unbekleidete Körper in ihrer Formenvielfalt berücksichtigte.

Der mehrmals erwähnte Kunsttheoretiker Konrad Fiedler, der neben Marées auch Adolf von Hildebrand unterstützte und Kontakt zu den anderen „Deutschrömern“ hatte, entwickelte ein Konzept, nach dem die Gesetze der außerkünstlerischen Realität durch die Gesetze der Kunst ersetzt werden und eine neue Kunstsprache postulieren. Sein Einfluss breitete sich nicht nur innerhalb seines Fachgebietes aus, sondern erreichte auch spätere Künstler, wie Kandinsky und Klee.


Adolf von Hildebrand, der hier in einem Nebensatz erwähnt wurde, ist ebenfalls ein Beispiel für das Ringen um moderne Ausdrucksformen ohne den Nährboden einer stimulierenden Gruppe, wie die der Impressionisten. Neben seiner bildhauerischen Tätigkeit hat er sich auch theoretisch mit dem Thema auseinandergesett. Seine Schrift »Das Problem der Form in der bildenden Kunst« stellt eine intensive und bedeutende Auseinandersetzung mit dreidimensionalen Arbeiten dar. Ich denke, dass es zu komplex ist, ihn hier auch noch vorzustellen, er könnte einen eigenen Beitrag vertragen. Allerdings möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass sein Rang zu seiner Zeit mit dem von Rodin vergleichbar war, den er bewunderte, aber auch kritisierte.

Adolf von Hildebrand, Der Kunsthistoriker und Mäzen Conrad Fiedler, 1874/75, Bayrische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek. Bild: Oliver Kurmis, flickr (Via Wikimedia) (CC BY 2.0)

Die beiden anderen Deutschrömer hatten unter den gleichen zeitlichen Rahmenbedingungen wie Marées ein gebrocheneres Verhältnis zu den Einflüssen der Moderne, obgleich sie technisch und bildnerisch überzeugendere Ergebnisse erzielten.

Der heute bekannteste Maler unter den Deutschrömern ist Arnold Böcklin (1827 – 1901), dessen Werke ich hier schon an mehreren Stellen besprochen habe. [Der Tod und die Zeit davor (2), (11.5.2020,) Pan (20.2,2021), Symbolismus (5.2.2022)] Er wird der „modernen“ Strömung des Symbolismus zugerechnet und seine zahlreichen mythologischen Inhalte veranlassten die Surrealisten, in ihm einen Vorläufer zu sehen. Er hielt sich in Italien auf, weil die dortige Atmosphäre diesen Themen zuträglich war. Seine Maltechnik ist beeindruckend, was wohl vornehmlich, zusammen mit der Größe seines Gesamtwerkes zu seiner Bekanntheit beigetragen hat.

Der Gesamtheit seiner Werke würde wohl nur ein Buchformat gerecht werden, was selbstverständlich auch mehrmals realisiert wurde. Hier soll nun ein weiterer Ausschnitt aus seinem Lebenswerk vorgestelt werden. Böcklin setzte sich mit impressionistischen Stilmitteln auseinander, was in den hier bereits vorgesellten Pan-Bildern deutlich wird. Das Entstehen der Panfiguren aus ihrer Umwelt heraus, die als Eindruck (Impression) nachvollziehbar ist, sowie die hinzugefügten Sonnenflecken wirken wie ein bildnerischer Flirt mit dem Impressionismus. Hiermit lässt er sich der Moderne zuordnen. Aber Böcklin hatte auch eine andere Seite. Er lässt diese Tendenzen hinter sich und greift zu der Arbeit mit Kontrasten, die im Impressionismus verpönt waren. Statt dem stürmischen Aufbruch in die Zukunft scheint er sich melancholisch von der Vergangenheit zu verabschieden.

Arnold Böcklin, Odysseus und Calypso, 1882, Kunstmuseum Basel.(CC BY-NC-SA 2.0)

Ein recht bekanntes Bild ist die Darstellung von Odysseus und Kalypso. Kalypso hielt der Sage nach Odysseus aus Liebe sieben Jahre zurück, bis Athene sie zur Freilassung veranlasste. Odysseus ist auf dem Bild als Rückenfigur dargestellt, eine Position, die man aus der Romantik mit dem Hinaussehnen aus einer augenblicklichen, meist beengenden, Situation in Verbindung brachte. Der vertikalen Ausrichtung Odysseus ist die horizontale der halb liegenden Kalypso antithetisch entgegengesetzt. Ebenso kontrastieren der dunkel gekleidete Odysseus und die helle, fast unbekleidete Kalypso miteinander, beide vor einem ebenfalls kontrastierenden Hintergrund. Im Vergleich zu den Bildern mit Mischwesen ist die Darstellung hier auf die wesentlichen Elemente reduziert. Eine vergleichbare Darstellung ist als Tafel „Venus, Amor entsendend“ aus 1881 überliefert.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ee/Arnold_B%C3%B6cklin_%281827-1901%29_-_Venus_und_Amor_%28ihn_entsendend%29_-_1894_-_F%C3%BChrermuseum.jpg

Die Einordnung Böcklins lässt die Frage über das „Moderne“ am Symbolismus aufkommen. Symbole verweisen auf etwas, das nicht real vorhanden ist. Von der Logik eben auch auf etwas, was nicht mehr vorhanden ist, eine mehr oder weniger sehnsuchtsvolle Rückschau. Was den Blick in eine noch nicht real gewordene Zukunft angeht, so sind im Symbolismus viele Todesmotive zu finden, besonders »Die Nacht«, der »Jenenser Student« und »Die Lebensmüden« bei Hodler. Die vielen mythischen und christlichen Motive anderer Symbolisten aber sind wieder eher rückwärtsgewandt als zukunftsorientiert. Möglicherweise stellt aber ein Rückblick ebenfalls ein Element einer nach vorne gerichteten und somit „modernen“ Entwicklung dar, wenn auch auf eine individuelle und vielleicht sentimentale Weise, als Wehmut über Vergangenes während der Reise in eine vielleicht ungewisse Zukunft.

Anselm Feuerbach, Iphigenie, 1862, Hessischen Landesmuseum, Darmstadt. Pressebild des Museums.

Unter diesen Voraussetzungen wage ich nun auch, den letzten der drei Deutschrömer vorzustellen, den nun gar nicht modern erscheinenden Anselm Feuerbach (1829 – 1880), der als Neoklassizist eingeordnet wird. Obgleich seine Werke durchweg einen gefälligen Eindruck machen und aus heutiger Sicht vielen zusagen würden, hatte seine Farbwahl, die sich zunächst an der venezianischen Farbpracht des 16, Jhd. orientierte, durch die Abtönung dieser Farben durch Grau zu viel Kritik geführt. Inhaltlich sehe ich aber ebenfalls eine Hinwendung zur Vergangenheit bzw. deren Mythen. Bei dem Bild von Paolo und Francesca fällt im Vergleich mit Rodins Plastik desselben Paares von 1884 die Rückständigkeit der Umsetzung ins Auge.  Die Vorsilbe „Neo“ ändert nichts an der klassizistischen Ausrichtung Feuerbachs. Kritisieren will ich sein Werk nicht, er war ein phantastischer Künstler, nur unter dem Aspekt „modern“ würde ich ihn im Gegensatz zu Rodin nicht einordnen. Ich erwähne ihn trotzdem, weil die Veränderungen der Moderne auch Menschen überfordern und sie sich nach Vergangenem zurücksehnen. Das Bekannte verspricht weiter Sicherheit, das Neue ist noch ungewiss. Wie bei Böcklin sehe ich den Blick zurück als einen Reflex auf den Fortschritt.

Auch William Turner ist der Epochenwende zuzuordnen, die er jedoch zeitlich vorwegnahm. Das Adjektiv „still“ ist zudem bei ihm völlig fehl am Platze. Außerdem hatte ich ihn bereits im Juli 2021 in einem eigenen Blog vorgestellt.

Der Kunstkritiker John Ruskin (1819 – 1900), von dem gleich noch einmal die Rede sein wird, zähle ich als Maler ebenfalls zu den stillen Modernen, ohne allerdings eigenständig den Zeichen seiner Zeit zu folgen. Er war ein großer Verehrer von Turner und wollte sich malerisch seinem Idol nähern. So waren zwar seine Aquarelle zeitgemäß, das Verständnis für die eigentliche Kunst der Moderne fehlte ihm aber. Der Zeit entsprechend war jedoch seine Verwendung von Fotografien, deren Einfluss auf die Kunst ihm allerdings suspekt blieb. Ruskin folgte den Spuren Turners nach Venedig und in die Alpen, um dort dessen Bilder durch eigene Aquarelle nachzuvollziehen.

James McNeill Whistler (1834 – 1903) blieb aus heutiger Sicht eher im Hintergrund, obwohl er zu seiner Zeit wohlbekannt, aber nicht immer unumstritten war. In Amerika geboren ließ er sich 1855 in Paris nieder, studierte neben Monet, Renoir und Sisley bei einem gemeinsamen Lehrer. Befreundet war er u.a. mit Corot. Japanische Kunst, besonders Holzschnitte wurden ab den 60er Jahren zu Anregungen für viele französische Künstler. Neben Pierre Bonnard, Paul Serusier, Gauguin und Van Gogh ebenfalls für McNeill Whistler, der wiederum Marianne von Werefkin während ihrer Zeit in Russland begegnete und in Richtung japanischer Darstellungsformen beeinflusste.

* Der eigenartige Titel für Purpur und Rosa bezieht sich auf die längliche Form der Figuren, passend zu der Form der Vasen, sowie auf die sechs Zeichen der Herstellersignatur auf dem Boden der Vasen.
 
* * Die »Symphonie in Weiß« wurde wegen des Titels aus der Musikwelt sowohl an der königlichen Akademie, als auch aus dem Salon abgewiesen. Wenig hilfreich war auch die Tatsache, dass Whistler seine naturgemäß nicht geehelichte Geliebte portraitierte, die sich außerdem als Aktmodell zur Verfügung stellte. Im Salon der Abgelehnten (Refusés) von 1863 wurde das Bild, das dort neben Manets »Frühstück im Grünen« hing, dann zu einer der Hauptattraktionen.

Auffallend bei McNeill Whistler sind die Titel seiner Bilder, in denen er oft die verwendeten Farben benennt, statt den Bildgegenstand. Neben den gezeigten Bildern macht dabei auch das Bildnis seiner Mutter mit dem Titel, Arrangement in Grau und Weiß von 1871 diesen Sachverhalt besonders deutlich.

James McNeill Whistler, Arrangement in Grau und Weiß No 1 , 1871, Musee d’Orsay, Paris. Bild: jean louis mazieres, flickr. (CC BA-NC-SA 2.0)

Allerdings ist er mit der Abwendung von der Beschreibung des Inhalts durch den Titel nicht alleine. In der Tat ist das ein dezentes Kennzeichen der Moderne, dem ohnehin sichtbaren Inhalt eine weitere Zuschreibung zukommen zu lassen, bei Monet z.B. mit «Impression, soleil levant» sogar als Namenspatin für eine gesamte Kunstrichtung. Für McNeill Whistler ist wohl die Farbe der bedeutendere Inhalt, gegenüber der erkennbaren Figur.

Eine Bildreihe Mit dem Namen »Nocturnes« wiederum stellt, wie auch die »Symphonie in Weiß« einen musikalischen Bezug bei den Bildtiteln her. Sie verweisen nicht von der Darstellung auf den Gegenstand, der Teil der Realität ist, sondern auf einen Bestandteil innerhalb der Kunst, auf die Farbe, oder eben auf die Musik, die eine Stimmung erfassen kann. „Die Kunst sollte allein stehen und den künstlerischen Sinn von Auge oder Ohr ansprechen, ohne dass dies mit Emotionen verwechselt wird, die dem völlig fremd sind, wie Hingabe, Mitleid, Liebe und Patriotismus“, wird er zitiert. (the artinspector). Von da aus war der Weg geebnet bis zu den völlig neutralen Titeln späterer Künstler, wie eine Nummer oder schlicht „Ohne Titel“.

Das obere Bild wurde mit einer niederschmetternden Kritik des renommierten Kunstkritikers John Ruskin bedacht: „[Es] war mehr als ein Topf Farbe, der einem unempfänglichen Publikum in das Gesicht geschleudert wurde. Es war eine Brandbombe geworfen von einem ästhetischen Terroristen.“* Eine Klage gegen Ruskin gewann Whistler, jedoch waren die Prozesskosten um ein Vielfaches höher, als die zugestandene Entschädigung. Der Verkauf des Gemäldes erbrachte später aber einen zufriedenstellenden Preis. Auch diese Anekdote enthält einen Hinweis auf eine „moderne“ Entwicklung, indem nämlich die Kunst stärker den Charakter einer Ware annimmt.
* David Park Curry: Uneasy Pieces, S. 184

Eine persönliche Anekdote war es, die mich auf Whistler aufmerksam gemacht hatte und die sich auf das zweite Bild bezieht. Der Schriftsteller Marcel Proust hatte in seinem Mammutwerk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« sehr viele Bilder in seinem Roman angesprochen. Über die »Ansicht von Delft« von Vermeer schrieb ich bereits in diesem Zusammenhang. Über Whistler schreibt er an einer Stelle, bei der er aus dem Fenster auf das Meer blickt und den changierenden und bisweilen verschwimmenden Übergang zwischen Meer und Himmel am Horizont beschreibt, der ihn an Whistler erinnert, zumal auf der Scheibe ein Schmetterling saß. Whistler setzte sie in vielfältiger Gestalt als Signatur seiner Bilder ein.
https://www.whistlerhouse.org/index.php/en/in-the-news-2/111-whistler-butterfly-signature  

Obwohl McNeill Whistler kein Impressionist im eigentlichen Sinne war, hat er doch die Eindrücke, die sein Blick auffing auf Bilder gebannt. Während also die Impressionisten ihren Eindruck, die Impression, aus dem Motiv herausfilterten und malten, waren diese Eindrücke bei Whistler bereits durch das Motiv gegeben. Der Eindruck auf den Betrachter verbindet möglicherweise das Motiv mit einer sphärischen Komponente, wie der Musik.

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