Arcadien

Anlässlich des 50. Todestages des deutschen Philosophen Walter Benjamin wurde in Portbou auf dem Friedhof, auf dem Benjamin beerdigt wurde der Grundstein für ein Denkmal gelegt, das 1992 zu seinem 100. Geburtstag fertig sein sollte. Die Initiative und die Finanzierung ging von Deutschland aus. Der Bundesrechnungshof kritisierte damals, angeregt durch die Zeitungen „Bild“ und „Neue Revue“, „dass aus einer Grabpflegemaßnahme ein Millionenprojekt geworden sei“ und so verzögerte sich die Fertigstellung bis 1994. Mit der Ausführung wurde der israelische Künstler Dani Karavan betraut. Das Werk besteht aus mehreren Elementen aus rostigem Stahl. Einer Treppe, die nach vier Stufen (auf dem Weg zum Himmel?) abbricht, einem Kubus auf einer großen Metallplatte und einer Treppe, die von einem dreieckigen Eingang hinunter zum Meer führt und an einer Glasscheibe endet, auf dem das Benjaminzitat

„Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten.“

eingraviert ist, aber auch aus einem Olivenbaum neben dem Eingang und einem Drahtzaun.

Gedenkort ‚Passagen‘
Das Walter Benjamin Memorial des Künstlers Dani Karavan am Friedhof von Portbou, 1990 – 1994.
Foto: Wamito, gemeinfrei, via Wikimedia Commons [1, 2]

Die Deutungen sind natürlich stark auf das Schicksal Benjamins ausgerichtet, der auf der Flucht vor den Nazis zunächst in Frankreich untergekommen war und aufgrund der Kollaboration des Vichy-Regimes mit den Nazis von dort weiter nach Spanien floh. Als ihm dort die Rückführung nach Frankreich drohte, nahm er sich in der Nacht zum 27. September 1940 das Leben.

Aber die Eindrücke der Arbeit lassen auch weitere Interpretationsspielräume zu. Der Olivenbaum soll als Zeichen für Frieden und Hoffnung, das Leben selbst, stehen, ein Zaun als durchsichtige Grenze zur Freiheit. Die Treppe geht auf das Meer zu, das andere Ufer in Sichtweite, als möglicher Fluchtweg, als sein Ende und der Ausblick auf einen Strudel im Meer, genährt von Ebbe und Flut, der Leben aufsaugt und vernichtet und an anderer Stelle möglich macht. Vielleicht.

Auf seiner Flucht gelangte Benjamin zunächst in das französische Sanary-sur-Mer, in dem zahlreiche Künstler und Philosophen aufeinander trafen. Die Liste ist lang, eine Gedenktafel erinnert an einige von ihnen. Aus Diesem Umfeld habe ich den Ausruf „Auch ich in Arkadien!“ in Erinnerung. Er stammte ursprünglich von Katherine Mansfield, die ihn 1915 in ihr Tagebuch schrieb, ebenfalls über Sanary und wurde wieder aufgegriffen durch die deutschen Immigranten.

Gedenktafel für die deutschen und österreichischen Flüchtlinge am Frem­denverkehrsbüro von Sanary-sur-Mer. Nicht alle Exildeutschen sind hier erfasst.
Foto: Anima, gemeinfrei, via Wikimedia Commons [3]

So wurde er wohl aufgefasst, dieser kleine Fischerort am Mittelmeer, ein Arkadien, einem Bild aus der Antike von einer Landschaft voller Frieden und Harmonie, in der Romantik aufgegriffen als arkadische Landschaft, oft mit Hirten als Hüter und Bewohner der Natur, dies wiederum auf den französischen Maler Nicolas Poussin zurückgehend mit zwei Bildern mit dem Titel „Hirten in Arkadien“.

Ein Ort des Friedens und der Zusammenkunft der Gejagten des Naziterrors. Eine Flucht damals, für viele aber auch der Beginn eines Lebens in Freiheit, in der wieder neues künstlerisches Schaffen möglich wurde. Für Benjamin leider nicht mehr.

Ich denke, auch heute würde uns ein Ort gut tun, nicht als Flucht, sondern als zeitweiliger Rückzug vor all der Dummheit und dem Hass, die unsere Welt und uns bedrohen, um wieder Kraft zu schöpfen für die nächste Auseinandersetzung oder einfach nur, um das Schöne am Leben zu erhalten, das was an Menschlichkeit, Hoffnung und Frieden die Menschen verbindet.

Die Arbeit Karavans in Portbou trägt übrigens den Namen „Passagen“, zurückzuführen auf das unvollendete Werk Benjamins mit dem gleichen Titel, aber auch in einem allgemeinen Sinn von Übergang. Vom Leben zum Tod vielleicht, vom Terror in die Freiheit, zu irgendeinem anderen Ufer. Eine Zwischenwelt, wie die Passagen in Paris, die Benjamin zu seinem letzten Werk animiert hatten, ein Ort der Begegnung von Innenräumen und Außenwelt, an dem die Zeit still zu stehen scheint. Ein Ort der Besinnung und des Friedens, von dem aus man weiter zieht, zu den Aufgaben die das Leben einem auferlegt hat.

[1] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d8/Walter_Benjamin_Memorial_Portbou_003.jpg
[2] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Memorial_Walter_Benjamin_Portbou_002.jpg
[3] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gedenktafel_f%C3%BCr_die_deutschen_u._%C3%B6sterreichischen_Fl%C3%BCchtlinge_am_Fremdenverkehrsb%C3%BCro_in_Sanary-sur-Mer1.jpg

[4] Ich habe für die Bestätigung meiner Gedanken und für einige Fakten auf Lektüren zurückgegriffen, die sich hier zwar nicht in Zitaten niederschlagen, doch möchte ich diese Quellen nicht unerwähnt lasssen.
Es sind die beiden Einträge zu der Gedenkstätte „Passatges“ (spanisch) und zu dem Ort Sanary sur mer auf Wikipepia. Außerdem das Buch von Manfred Flügge, Das flüchtige Paradies, Berlin 2019 und einen Artikel in der Zeit Nr. 21 von 1994 in der Onlineversion ohne Autorenangabe.

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