Rodin

Auguste Rodin (1840 – 1917) war ein Bildhauer, dessen Namen wohl jeder kennt und viele werden dabei auch die ein oder andere seiner Skulpturen vor Augen haben. Sein Versuch, Bildhauerei in Paris zu studieren wurde dreimal abgelehnt, so dass er ohne akademische Ausbildung seinen Weg begann.

René Avigdor, Rodin in seinem Atelier, 1898/98, Musée Rodin, Paris. Bild: JR P, flickr. (CC BY-NC 2.0)

1875 reiste er nach Italien, um Michelangelos Skulpturen zu studieren. Hier möchte ich einen kurzen theoretischen Verweis anbringen. Michelangelo wird das Zitat, das in mehreren Variationen ohne Quellenangabe verbreitet wird, zugeschrieben: “Der David war immer schon da gewesen. Ich musste lediglich den überflüssigen Marmor um ihn herum entfernen.” Die dreidimensionalen Kunstwerke, die ich hier bisher vorgestellt habe, sind durch das Hinzufügen einzelner Elemente entstanden, zum Beispiel bei Tinguely und Spoerri. Auch bei Bildern wird Farbe einer Leinwand hinzugefügt. In der Bildhauerei werden Elemente entfernt und was einmal weg ist, kann nicht wieder angeklebt werden. Es ist also vorab eine geistige Vorstellung notwendig, um eine solche Arbeit herzustellen. Nicht ganz so endgültig sind Arbeiten in Ton, den Rodin häufig als Vorarbeit für die späteren Gussformen verwendet hatte. Die Konzeption eines Werkes entsteht aber auch hier ohne vorgefertigte Materialien, quasi aus dem Nichts. Daneben hatte Rodin aber auch in Marmor gearbeitet, wie bei dem bereits vorgestellten »Kuss«.

Ein frühes Werk ist die Bronzeskulptur »Das eherne Zeitalter«, die als Anfang der modernen Plastik gilt. Es gibt mehrere Bedeutungszuschreibungen, die sich besonders an den Haltungen der Hände orientieren. Die eine Hand könnte einen Speer halten, die andere eine Wunde am Kopf bedecken. Daher hat ein Betrachter, die Freiheit, seine eigene Deutung vorzunehmen, sie ist in jedem Fall richtig. Angeregt wurde Rodin wohl durch den Philosophen der Aufklärung Jean-Jacques Rousseau. Vor diesem Hintergrund wird in der Skulptur ein Symbol für das Erwachen der Menschheit gesehen. Diese Deutung übermittelte Rodin später auch selber an seinen Freund Rilke. Die Figur wurde übrigens kritisiert, weil man annahm, dass der Gipsabdruck für die Form von einem lebenden Menschen gemacht worden sei und keine künstlerische Leistung. Rodin hat deshalb danach seine Figuren entweder kleiner, oder größer, als in Natura gemacht.

Bild: Auguste Rodin, Das eherne Zeitalter, auch das Bronzezeitalter, 1875/76, Alte Nationalgalerie Berlin. (GNU-Lizenz für freie Dokumentation, sowie CC BY-SA 3.0 Unportetd)

Die angehende Bildhauerin Camille Claudel wurde 1883 Schülerin bei dem 24 Jahre älteren Rodin. Das Modell wurde zur Geliebten, die Beziehung war sehr spannungsgeladen und endete 1893. Camille Claudel mit wenigen Zeilen abzuhandeln wird ihr nicht gerecht, deswegen verzichte ich hier auf Weiteres und werde ihr einen eigenen Blog widmen.

»Der Mann mit der gebrochenen Nase« ist eine der ersten eigenständigen Büsten Rodins. In seinem unbeheizten Atelier gefror die Tonbüste und der Hinterkopf brach heraus. Um das Loch zu reparieren, blieb bis zur Herstellung uns Einreichung des Bronzeabgusses beim Salon von 1865 keine Zeit mehr, so dass er den Guss ohne Hinterkopf anfertigte und das Werk »Maske« nannte. Genommen wurde es trotzdem nicht. Das „Philadelphia Museum of Art“ zeigt beide Ansichten seiner Version.
https://www.philamuseum.org/collection/object/103431


Die Plastik »Die Bürger von Calais« ist eine Arbeit, die die Stadt Calais in Auftrag gab, um an eine Initiative von sechs angesehenen Bürgern der Stadt zu erinnern, die sich 1346 dem Englische König Eduard dem Dritten als Geiseln anboten und bereit waren, für ihre Stadt zu sterben. Calais drohte die totale Zerstörung und Plünderung bei einer Kapitulation. Das Besondere an dieser Skulpturengruppe ist die deutliche expressive Überzeichnung der verzweifelten und zugleich demütigen Gesten, angesichts des drohenden Todes. Die Bekleidung nur mit Hemden und einem Strick um den Hals ist historisch überliefert, und gab Rodin die Möglichkeit, das Leidvolle des Büßergangs zu Ausdruck zu bringen. Hände und Füße sind, wie auch bei anderen Figuren im Verhältnis zu groß. Es sind die Körperteile, mit denen Handlungen vollzogen werden, durch die Größe wird die bewusste Handlung der Männer unterstrichen. Die Männer wurden übrigens auf Bitten der anwesenden englischen Königin nicht hingerichtet.

Auguste Rodin, Les bourgeois de Calais (1884/95 )Platz vor dem Rathaus, Calais, Frankreich. Bild: Calais autrement,e-monsite.com

»Der Denker« ist vermutlich die bekannteste Skulptur Rodins. Geplant war sie als Teil des für Rodin wichtigsten Werkes, das »Höllentor«. Dort sollte er Dante Alighieri verkörpern, den Autor der »Göttlichen Komödie«, von der Rodin das Hauptkapitel »Inferno« als Thema wählte.

Auguste Rodin, der Denker, 1902, Kunsthalle Bielefeld. Eigenes Bild. © monsieurquirit.

Ein Boxer hatte Rodin hier und auch bei anderen Skulpturen Modell gestanden. Der muskulöse Körper sollte eine innere Spannung zu Ausdruck bringen. Hände und Füße sind auch hier im Verhältnis zum Körper größer. Das Original mit einer Größe von 72 cm befindet sich im »Musée Rodin« in Paris. Es gibt zahlreiche Abgüsse von der Figur, über deren inhaltliche Bedeutung nicht lange nachgedacht werden muss. Wie bei den Bürgern von Calais geht es Rodin um den Ausdruck innerer Ausnahmezustände, die unschwer nachvollziehbar sind. Seine Einordnung in kunstgeschichtliche Stile ist nicht einheitlich, ich sehe in ihm vornehmlich einen Expressionisten, bzw. einen Vorläufer dieses Stils. Er wurde aber auch symbolistisch oder realistisch eingeordnet, je nach Werk. Zu den zahlreichen Abgüssen des Denkers in Originalgröße kommen noch mehrere Monumentalversionen von 1,82 m Größe hinzu, so auch diese in Bielefeld.

Auguste Rodin, Das Höllentor, 1890, Ausschnitt, Musée Rodin, Paris. Bild: Jean-Perre Dalbéra, flickr.(CC BY 2.0)

In seiner Verkörperung des Dichters Dante Alighieri oben auf dem Tor trug die Figur noch den Namen »Der Dichter«. Die gebeugte, sitzende Position, die auch als Niedergeschlagenheit und Schwäche ausgelegt werden kann, bekommt unter diesem Titel eine erweiterte Bedeutung. Das Musée Rodin sieht darin im Körper eines Gequälten, vielleicht auch Verdammten, einen Menschen, der trotz allem seinen freien Geist bewahrt hat, um das Leiden in Kunst zu verwandeln.

Formal angelehnt sei die Figur, so das Rodinmuseum, an Michelangelos Grabmal für Lorenzo di Medici und an »Ugolino«, einer Figur aus dem neunten Kreis der Hölle, der sich dort an seinem grausamen Peiniger rächt, welcher ihn zusammen mit seinen Kindern und Enkeln ohne Nahrung in einen Turm sperrte. Ugolino ernährte sich dort von seinen bereits verstorbenen Nachkommen und in Dantes Hölle von seinem Richter.

Die Statue »Balzac« entstand als Auftragsarbeit des Schriftstellerverbandes «Société de Gens de Lettres». Rodin hat sich sehr ausführlich mit dem Autor der «Comédie humaine» (Menschliche Komödie oder Komödie der Menschheit) auseinandergesetzt, las seine Bücher, ist in seinen Wohnort gefahren, usw. Der Schriftsteller war zwar eine imposante Erscheinung, entsprach aber körperlich keinerlei Ideal. Kurze Beine, ein unübersehbarer Bauch, zerzaustes Haar und gerne nachlässig in seinen Hausmantel gekleidet. Rodin traf bei seiner Recherche auf den Schneider des bereits vor gut 40 Jahren verstorbenen Balzac und bat ihn, Kleidungsstücke in dessen Konfektionsgröße anzufertigen. Da erst bekam er eine Vorstellung vom Körper des Autors. Die Vorarbeiten dauerten mehrere Jahre und beinhalteten u.a. eine große Anzahl von Studien. 1998 wurde das Ergebnis ausgestellt und erregte großen Unmut. „Übergewichtiges Monster“ oder „formlose Masse“ waren Beschreibungen der Presse, wobei der Begriff „Monster“ wohl auch auf der Größe von 3 Metern beruhte.

Rodins Absicht war es, über die Größe der Plastik die innere Größe Balzacs zu thematisieren. Der hochmütig erhobene Kopf, der wenig Menschliches hat, ist ein äußeres Zeichen für die künstlerische Inspiration, die diesem Kopf entsprang. Das vernachlässigte Äußere der Erscheinung, die ja authentisch war, steht für die größere Bedeutung innerer, künstlerischer Werte. Aufgrund der Reaktion nahm Rodin sein Werk wieder aus der Ausstellung und stellte es in seinen Garten. Der erste Bronzeguss wurde erst 1939 angefertigt, um auf einem Pariser Boulevard seinen Platz zu finden.

Das »Höllentor« war eine Auftragsarbeit für den Eingang eines neuen Museums, das schließlich gar nicht gebaut wurde. Das hielt Rodin nicht davon ab, bis zu seinem Lebensende weiter daran zu arbeiten. Das Tor ist über 6 Meter hoch und enthält 186 Figuren. Es war als staatlicher Auftrag nicht in seinem Besitz, deshalb konnte er es nicht verkaufen. Daher hat er einzelne Figuren und Gruppen als eigene Plastiken gestaltet. Der Denker wurde bereits erwähnt, auch der Kuss war ursprünglich für das Tor vorgesehen, Adam und Eva waren geplante Teile der Skulpturen. Die Gruppe der drei Schatten oben auf dem Tor wurde als eigenständige Arbeit vergrößert geschaffen.

Auguste Rodin, Die drei Schatten, 1886, Musée Rodin, Paris. Bild: Wally Gobetz, flickr. (CC BY-NC-ND 2.0)

Die drei Schatten standen in Dantes »Göttlicher Komödie« als verdammte Seelen am Eingang zur Hölle. Dante legte ihnen die Worte: „Lasst, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren!“ in den Mund. Rodin gestaltete drei identische Figuren, die sich um einen gemeinsamen Punkt drehen. Wie Bei seinem »Adam« nehmen sie eine Haltung ein, die ihr Leid deutlich macht. Mit der anatomischen Verformung der drei Köpfe und der Schultern zu einer einzigen gemeinsamen Linie, gelang Rodin ein intensiver Ausdruck von Leid und Verzweiflung

Auguste Rodin, Adam, 1880/81, Guss 1910, MET Museum, New York. (CC0)

Die Skulptur »Adam« wurde zuerst als Gipsmodell mit dem Titel »Die Schöpfung der Menschheit« hergestellt. Wie »Der Kuss« war sie für das Höllentor vorgesehen, fand aber dort ebenfalls keinen Platz. Das Metmuseum gab für seine Sammlung den ersten Guss dieser Statue in Auftrag. Die ausgeprägte Muskulatur steht in krassem Gegensatz zu der Haltung eines leidenden Menschen. Dass Adam auf den Boden zeigt, scheint seine Zugehörigkeit zur Erde auszudrücken, während der Figur in Dantes Schrift das ewige Leben im Himmel zuteil wird.

Rodin schuf sehr viele einzelne Studien und Skulpturen von Körperteilen, nicht zuletzt auch wegen des großen Tores, für das er sich an antiken Skulpturen orientierte, denen im Laufe der Zeit Gliedmaßen abhanden kamen. „Was braucht ein Mensch einen Kopf, um zu gehen“ ist ein Zitat, das ihm nachgesagt wird.

Das Tor wurde als bildnerische Thematisierung von Dantes »Inferno« konzipiert, hat aber auch einen Bezug zu Baudelaires »Blumen des Bösen«, einer dichterischen Auseinandersetzung mit der Verlorenheit des Einzelnen in der damals modernen Welt.
Baudelaire zitiert in einem Gedicht den Anfang eines Psalms: „De profundis clamavi ad te Domine – Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir.“ Die Hoffnung auf eine göttliche Rettung aber wird bei Baudelaire zu einem Blick in den menschlichen Abgrund.
De profundis clamavi
Dein Erbarmen ruf ich an, du einzige Geliebte,
Aus der Tiefe des dunklen Abgrunds, in den mein Herz gestürzt ist.
Welch eine düstre Welt mit einem Horizont aus Blei,
Wo in der Nacht das Grauen und die Lästerung treiben.“

Dantes Beschreibung des Tores zur Hölle, das er als Dichter in seinem Werk des späten Mittelalters durchschreitet erscheint Rodin als geeignete Interpretation der menschlichen Lebensbedingungen in seiner modernen Zeit. Die Hölle ist für ihn das menschliche Dasein.

Auguste Rodin, Der Schrei, 1886, Guss 1961, Musée Rodin, Paris. Bild: Jean-Pierre Dalbéra, flickr. (VV BY 2.0)

Der Schrei ist ein eindrucksvoles Beispiel für die Intensität von Gefühlen, die Rodin zum Ausdruck bringen konnte und für die zahlreichen Studien, die er für das Gelingen eines Werkes für notwendig hielt. Auch diese Studie war für das Höllentor geplant, ich konnte die Figur aber nicht entdecken und auch sie ist wie z.B. der Torso oder der schreitende Mann ein eigenständiges Werk.

Es gab mindestens zwei Fassungen des Tores, erst nach Rodins Tod wurden Bronzegüsse angefertigt.

Auguste Rodin, Das Höllentor, Musée Rodin, Paris. Bild: Emilio I. Panizo, flickr. (CC BY-NC-SA 2.0

Der junge Dichte Rainer Maria Rilke war ein glühender Verehrer Rodins. Die entstandene Freundschaft zwischen diesen beiden Ausnahmekünstlern war jedoch nicht unkompliziert, neben dem Alter waren auch die Temperamente sehr unterschiedlich. Rilke schrieb mehrere Abhandlungen über Rodin, arbeitete auch einige Monate als sein Sekretär und lernte in dieser Zeit viel über das Sehen in der Kunst. Rodin empfahl ihm die antiken Statuen im Louvre. Vom Sehen und gesehen werden handeln die letzten zwei Zeilen eines seiner Gedichte. Ich denke, es geht auch darum, von einem Werk angesprochen zu werden.

Auguste Rodin, Torso. 1877/78, Guss 1979. MET Museum, New York. (CC0)

Mit diesem Gedicht, das im Louvre seinen Ursprung haben könnte, möchte ich ihm hier das Schlusswort lassen:

Archaïscher Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.

2 Antworten auf “Rodin”

  1. Danke, danke – ich habe es jetzt nur überflogen. Ich mag Rodin. Aber noch lieber mag ich Camille Claudel. Sie war, meiner Meinung nach, sogar noch besser, als ihr Lehrmeister und Hassgeliebter. Tragisch, wie sie endet – und man munkelt, dass mache seiner Werke ihre waren!
    Ich bin sehr gespannt auf deinen Artikel zu ihr!

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  2. Ich freue mich über deinen Kommentar. Camille wird kommen, aber nicht direkt. Nächstes Wochenende muss ich meinem Enkel beim Eingeschultwerden helfen. Ich glaube, Rodin hat wirklich einige ihrer Werke als seine ausgegeben, er war schon ein ziemliches Miststück und Schürzenjäger.

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